München
Einblicke und Ausblicke

Das renommierte Fotografen-Kollektiv "Ostkreuz" dokumentiert in einer Münchner Ausstellung die Welt und das Private

25.10.2016 | Stand 02.12.2020, 19:08 Uhr

Zerstörte vierstöckige Moschee im Zentrum von Gaza, März 2009: aus Heinrich Völkels Serie "The Terrible City". - Foto: Völkel/Ostkreuz

München (DK) Das Plakat der Ausstellung "25 Jahre Ostkreuz" ist programmatisch: Ein zerstörter, verlassener Raum zeigt seine Tristesse in Grau, doch in der Mitte öffnet sich ein Fenster zum blau-weißen Himmel. Nichts anderes ist Fotografie: Sie bildet die Wirklichkeit ab und eröffnet einen Ausblick in das "Dahinter", sie gewährt Einblicke in Hoffnungen und Emotionen, die sich nur schwer in Worte fassen lassen.

Zu erkennen ist dies in einer Schau im Kulturfoyer der Versicherungskammer, die strukturiert und ansprechend inszeniert ist.

Das Foto für das Plakatmotiv hat Heinrich Völkel in Gaza gemacht, einem unwirtlichen Ort, zerschossen und ausgebrannt. Hier ist Krieg der Alltag für Menschen, die ihr Leben zwischen Trümmern arrangieren. Nur der Anblick des fast immer sonnigen Himmels ist ein Versprechen auf Zukunft - so scheint es. Völkel ist einer von 21 Fotografen, die insgesamt über 250 Werke aus 25 Jahren zeigen. Gegründet wurde die Agentur "Ostkreuz" 1990 in Paris, sozusagen "zwischen den Zeiten", denn die Mauer war schon gefallen, Deutschland aber noch geteilt. Heute gilt Ostkreuz als renommiertes Fotografen-Kollektiv in Deutschland, die Mitglieder kommen aus dem Osten und aus dem Westen, sind zwischen 30 und 65 Jahre alt, zur Hälfte Frauen und zur Hälfte Männer, ihre Bilder sind in Magazinen und Ausstellungen zu sehen.

Der Blick von "Ostkreuz" richtet sich in die Nähe und in die Ferne. Beobachtet wird der Wandel Berlins: Dazu gehören die Fotos von Harald Hauswald, als im November 1990 die Mainzer Straße in Berlin-Friedrichshain zum Kriegsschauplatz wird. Barrikaden und gepanzerte Einsatzfahrzeuge, Verletzte auf Tragen und Rauchschwaden bezeugen die Verwüstungen, als die Polizei besetzte Häuser räumt. Eine andere Seite Berlins zeigen Thomas Meyers Arbeiten, der Orte der Stasi-Aktivität aufsuchte und die museale Ordnung aufgeräumter Schreibtischen und Archive in einer Sterilität zeigt, die im Gegensatz steht zu Angstschweiß, Tränen und Schreien in 40 Jahren DDR-Geschichte.

In die Ferne richtet sich der Blick von Espen Eichhöfer, als am 9. Juli 2011 der erste Unabhängigkeitstag im Süd-Sudan begangen wird: Nach zwanzig Jahren Guerillakrieg gab es keine Euphorie, sondern todernste Mienen bei den Bürgern, die mit Zweifel in den Augen den improvisierten Militär-Zeremonien zuschauten. Anspannung wird auch sichtbar auf den Gesichtern von Richtern und Personal des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag. Frank Schinski hat hier den ersten Urteilsspruch dieses "Weltgerichtes" beobachtet, als der kongolesische Milizenführer Thomas Lubanga 2012 verurteilt wird, und Schinski richtet seinen Blick sowohl auf die übermüdeten Menschen als auch auf Details der nüchternen Architektur.

Einige der Fotografen von "Ostkreuz" nehmen in Langzeitstudien Orte und ihre Menschen in den Blick - so besuchte Annette Hauschild die Roma, die nur innerhalb der Familie Heimat finden, am langen Tisch mit vielen Kindern. Sibylle Fendt begleitete ein Ehepaar auf seiner letzten Urlaubsreise mit dem Wohnmobil ins Baltikum und dokumentiert die zärtliche Fürsorge des Mannes für seine an Demenz erkrankte Frau: Augenblicke voller Lebendigkeit in der Gegenwart, die Zukunft ist ungewiss. Und was erwartet die Braut, die in Havanna auf einem Balkon steht, auf die halb zerfallenen Häuser an der Straße blickend? Jordis A. Schlösser dokumentierte zwischen 1992 und 2000 das Alltagsleben auf Kuba, wo Hoffnungen und Sehnsüchte der Menschen wie in einem Dampftopf unter Verschluss gehalten werden.

Der Ausstellungsrundgang zeigt: Wenn Fotografen und Fotografinnen sich mit einem Thema vorstellen, gewinnt der Besucher mehr Einblicke in ihre Arbeit als durch eine unüberschaubare Vielfalt. Ein Beispiel, das in Foto-Ausstellungen Schule machen sollte.

Bis zum 15. Januar, Kunstfoyer der Versicherungskammer Kulturstiftung, Maximilianstraße 53, geöffnet täglich von 9 bis 19 Uhr, Eintritt frei.