München
Ein flirrend schöner Sommertraum

Uraufführung von "Kaspar Hauser" nach Franz Schuberts Musik durch die Kammeroper München

22.08.2014 | Stand 02.12.2020, 22:19 Uhr

Aus dem Kerker aufs gesellschaftliche Parkett: Kaspar Hauser (André Baleiro mit Katharina Konradi) - Foto: Sabina Tuscany

München (DK) Es könnte eine Quizfrage sein: Wie viele Opern und Singspiele schrieb Franz Schubert? Eine, drei, 17 oder gar keine? Auf die letzte Lösung würde wohl mancher Musikfreund tippen. Dabei gibt es tatsächlich 17 Opern aus seiner Feder, Schubert schrieb also mehr Bühnenwerke als Richard Wagner.

Schubert liebte die Bühne – doch auch diese Zuneigung blieb diesem oft Zurückgewiesenen unerwidert.

Seine Werke waren mit seltsamen Libretti und unzulänglichen Aufführungen geschlagen, sodass sie es meist nur auf wenige Vorstellungen brachten oder ganz verschwanden. „Keiner wusste seine Rolle, den Souffleur hörte man immer zuerst“ berichtete ein Zeitgenosse über die Premiere des Melodrams „Die Zauberharfe“.

Dabei hätte Schubert ein genialer Opernkomponist sein können – denkt man an die Dramatik und Erzählautorität, mit der er in Miniaturformaten wie im „Erlkönig“ oder im Zyklus „Die schöne Müllerin“ den Hörer in atemlose Spannung zu versetzen vermag.

Am Donnerstag nun wurde eine Kammeroper von Schubert im Hubertussaal des Schloss Nymphenburg uraufgeführt – 186 Jahre nach seinem Tod. Die Musik dazu arrangierte Alexander Krampe, Libretto und Regie besorgte Dominik Wilgenbus.

Es ist ein magisches Verwirrspiel um Kaspar Hauser, den man auch „das Rätsel seiner Zeit“ nannte. Obwohl beide Männer Zeitgenossen waren, liegt die Verknüpfung von Hausers Leben und Schuberts Musik zunächst fern: Es war das Todesjahr Schuberts, 1828, als Kaspar Hauser in Nürnberg auftauchte, verwahrlost, ohne Vorgeschichte und mit nur einem einzigen Satz auf den Lippen. Anscheinend hatte der Jüngling zuvor lange in Abgeschiedenheit gelebt, angekettet in einer Art Erdhöhle und wie ein Gefangener in Isolationshaft bei Wasser und Brot gehalten.

Ein persönliches Zusammentreffen zwischen Schubert und Hauser fand also nie statt und doch funktioniert dieser Opernabend: Wie Splitter fügen sich Momente aus Kaspars Leben und Fragmente von Schuberts Musik zusammen, werden zu einem von Märchen und biblischer Überlieferung gespeisten glänzenden Mosaik-Kleinod. Krampe hat sich reichlich bedient in Schuberts Liedern, hat die „Deutsche Messe“, das Chorwerk und vieles weniger Bekannte gründlich gezaust und neu zusammengesetzt.

Das Münchner Kammeropernensemble scheint diese geerdete Musik nach all dem italienischen Belcanto, welcher in den letzten Jahren auf dem Spielplan stand, genauso begierig aufzusaugen wie das Publikum.

Unter dem Dirigat des ägyptisch-deutschen Dirigenten Nabil Shehata erklingt eine Partitur, die fremd und bekannt zugleich, vor allem aber transparent und ganz famos geraten ist. Wilgenbus führt auch seine Sänger als Ensemble, und dies kommt den chorisch gefassten Sätzen genauso entgegen wie seinem Regiekonzept: Nur der Titelheld (gesungen und sehr liebenswert gespielt vom jungen portugiesischen Bariton André Baleiro) hat eine fest zugeteilte Rolle, die anderen sechs Solisten teilen sich auf in die Nürnberger und Ansbacher Bürger, die Kaspar Hauser begegnet sind, in Albträume und Symbolfiguren und definieren so zugleich viele rätselhafte Leerstellen aus seinem bis heute noch rätselhaften kurzen Leben. Die Solisten liefern beglückende Miniaturrollen: Katharina Konradi als bezaubernd schnurrende Katze des Hauslehrers Dauber, Philipp Jekal als bedrohlicher „Du“, Florence Lousseau als schmerzvolle Mutter, Aline Kostrewa als undurchschaubarer Lord, Thomas Huber als Froschkönig oder Clemens Joswig als Menschenfreund Feuerbach. Die Herren sind allesamt als Schubert-Wiedergänger aufgefasst. Sie alle spinnen in einer inspirierten und bildersatten Kammerspiel-Regie ein Netz der Geschichten, das den geschichtslosen Kaspar, hier aufgefasst als staunend-reiner Tor, trägt.

Weitere Aufführungen der Kammeroper „Kaspar Hauser“ im Hubertussaal, Schloss Nymphenburg München, sind noch bis 13. September zu sehen. Die passende Kinderoper mit dem Titel „Prinz Kaspar“, wird am 3., 4., 6. und 7. September jeweils um 15 Uhr gespielt. Karten gibt es online unter www.kammeroper-muenchen.com.