München (DK) Als berühmter, weltweit erfolgreicher schwedischer Filmregisseur ("Das Schweigen" und "Szenen einer Ehe") inszenierte Ingmar Bergman von 1977 bis 1984 am Münchner Residenztheater ein gutes Dutzend Schauspiele der Dramatiker aus seiner Heimat, wie etwa August Strindbergs "Traumspiel" oder des Norwegers Henrik Ibsens "Nora": Psycho-Erkundungen in bester und meist aufwühlender Interpretation. Aber auch der Untergang der Weimarer Republik und der Aufstieg der Nationalsozialisten gerade in der bayerischen Landeshauptstadt interessierten ihn, weshalb er 1976
Düstere Parabel über Rechtsruck

2018 wäre Ingmar Bergman 100 Jahre alt geworden Anne Lenk inszeniert seinen Film "Schlangenei" im Cuvilliéstheater

02.10.2017 | Stand 02.12.2020, 17:24 Uhr

Surreal: Ingmar Bergmans 1976/77 in München gedrehter Film "Das Schlangenei" beschreibt ein Deutschland, dessen Ordnung am Zerbrechen ist und das durch Passivität die demokratische Idee infrage stellt. Anne Lenk inszeniert den Film nun im Cuvilliéstheater. - Foto: Aurin

München (DK) Als berühmter, weltweit erfolgreicher schwedischer Filmregisseur ("Das Schweigen" und "Szenen einer Ehe") inszenierte Ingmar Bergman von 1977 bis 1984 am Münchner Residenztheater ein gutes Dutzend Schauspiele der Dramatiker aus seiner Heimat, wie etwa August Strindbergs "Traumspiel" oder des Norwegers Henrik Ibsens "Nora": Psycho-Erkundungen in bester und meist aufwühlender Interpretation. Aber auch der Untergang der Weimarer Republik und der Aufstieg der Nationalsozialisten gerade in der bayerischen Landeshauptstadt interessierten ihn, weshalb er 1976/77 den Film "Das Schlangenei" in München produzierte.

Mit der Metapher, dass hinter der dünnen Schale des Titel gebenden Schlangeneis das giftige Reptil bereits zu erkennen ist, sah er ein Gleichnis für den Hitler-Putsch von 1923 und der ebenso schleichenden wie fatalen Auflösung der Demokratie in den ach so fidelen "Roaring Twenties" in Deutschland.

Hinter dieser Folie zeigte Bergmann (1918-2007) die Zerstörung von Biografien in politischen Umbruchszeiten anhand der jüdischen Familie Rosenberg: Abel, Max und dessen Frau Manuela sind als erfolgreiche Artisten jahrelang in den größten Zirkuszelten der Welt aufgetreten. Als Max jedoch einen Unfall erlitt, wurde das Künstlertrio arbeitslos, zog nach Berlin, wo es in eine Folge mysteriöser Morde verwickelt wird. Max nimmt sich das Leben, während Abel und Manuela in Albträumen den immer stärker sich entwickelnden Nationalismus, gepaart mit Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus, erleben müssen. Während der Polizeiinspektor Bauer noch Ordnung in das Chaos zu bringen versucht, bastelt der Arzt Vergérus bereits an Versuchen, den rein arischen Menschen zu klonen.

Höchst eindrucksvoll hat die Regisseurin Anne Lenk in einem symbolischen Dioramen-Bühnenbild (von Judith Oswald), aus dem die Figuren geheimnisvoll auftauchen und ebenso wieder verschwinden, als surreales (und doch sehr aktuelles) Kammerspiel inszeniert. Eine düstere Parabel über den Rechtsruck einer Gesellschaft, die die Gefahr des Schlangeneis nicht erkennen will, sondern es auch noch bewusst aufpäppelt.

Ungemein beeindruckend verkörpert Franz Pätzold den Abel Rosenberg, dessen Träume von einer humanen Welt im Anblick der Gegenwart zu Schreckensvisionen gerinnen und dem die Schwägerin Manuela (Nora Buzalka) als Erinnerung an die vergangenen, schönen Artistenjahre und als Inkarnation des Wunschbildes von innerer und äußerer Harmonie immer wieder erscheint. Doch die Zeiten sind anders, bedrohlicher, gefährlicher: Die Schlange ist aus ihrem Ei geschlüpft, ihr Gift ist in der Welt. Dies kann auch der Polizeiinspektor (Oliver Nägele) nicht mehr verhindern und die politisch motivierten Morde und Selbstmorde ebenfalls nicht mehr aufklären, während der Mediziner Vergérus (Thomas Lettow) als Zyniker im Sinne der Nazi-Ideologie bereits an Menschenversuchen arbeitet. Eine ebenso nachdenklich stimmende wie anspruchsvolle Neuinszenierung im Münchner Cuvilliéstheater, die das schleichende, immer bedrohlicher werdende Defizit an Humanität in einer Gesellschaft aufzeigt, die mehr und mehr vom Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit geprägt wird. Eine berührende Aufführung!

Die nächsten Vorstellungen sind am 18. und 22. Oktober. Kartentelefon (089) 21 85 19 40.