München
Drei Mimen und 240 Liter Theaterblut

Christopher Rüping inszenierte Shakespeares "Hamlet" in den Münchner Kammerspielen

23.01.2017 | Stand 02.12.2020, 18:45 Uhr

Hamlet ist, wenn alle alles spielen: Szene mit Nils Kahnwald und Katja Bürkle. - Foto: Aurin

München (DK) Wer Shakespeares Tragödie über den Gerechtigkeitssucher und "Sein oder Nichtsein"-Zweifler in der Originalfassung und in intellektueller Regie erleben will, der kann sich diese Neuinszenierung sparen. Wer freilich keine Scheu vor trivialem Theaterspiel mit aufgesetztem Pathos und Theaterblut-Orgien hat, der wird hier innerhalb von zweieinhalb Stunden auf dem Niveau von seichten Krimis unterhalten.

Doch keine Persiflage auf Shakespeares meist gespieltes Drama ist diese Aufführung, sondern eine - leider - ernst gemeinte Interpretation für das Jahr 2017, wie das Programmheft ebenso keck wie vollmundig behauptet.

Bereits im November vergangenen Jahres wurde Kammerspiele-Intendant Matthias Lilienthal nach massiver Kritik (auch in dieser Zeitung) über seine Ausrichtung des städtischen Schauspielhauses als Performance-, Trash- und Comedy-Theater vor den Kulturausschuss des Münchner Stadtrates zitiert, um wieder mehr klassisches Sprechtheater in einem der besten Schauspielhäuser im deutschsprachigen Raum anzubieten. Doch trotzig beharrte Lilienthal darauf, den von ihm eingeschlagenen Weg auch weiterzugehen, um neue Besucherschichten, die an TV-Soaps sich delektieren, zu gewinnen (während die Freunde des soliden Regie- und exzellenten Schauspielertheaters ihre Abonnements kündigten). Und provokativ stellte er fest, dass er in dieser, seiner zweiten Spielzeit mit der Sicht auf neue Theaterformen nun erst beginne. So sieht die erste Premiere im neuen Jahr dann auch aus.

Drei Mimen (Katja Bürkle, Walter Hess und Nils Kahnwald) teilen sich alle Rollen in Shakespeares "Hamlet" brüderlich-schwesterlich auf. Dies freilich nicht aus Gründen der Kosteneinsparung, sondern um die Gleichrangigkeit aller Rollen zu dokumentieren und zu zeigen, dass alle Figuren miese Typen sind. Wer nun wer in dieser ansonsten so aufwühlenden Tragödie mit einem guten Dutzend Personen ist, kann streckenweise nur von den Zuschauern herausgefunden werden, die einen Volkshochschulkurs gebucht oder gar an einem Shakespeare-Oberseminar teilgenommen haben. Aber diese "Who is who"-Zuordnung ist Christopher Rüping, dem Hausregisseur der Münchner Kammerspiele, ja auch egal. Er hat eh nur Versatzstücke aus dem Drama im Programm und lässt die Geschichte von Hamlets Hass und Rache wegen der Ermordung seines Vaters aus der Sicht von Horatio, Hamlets bestem Freund, mit verteilten Rollen auf der Bühne abspulen. Basta.

Katja Bürkle, die ihren Vertrag zum Ende dieser Spielzeit gekündigt hat, und die beiden anderen Schauspieler sind daher abwechselnd einmal Hamlet und gleich darauf dessen Mörder Laertes, um kurz nachher als König Claudius, der die Ermordung von Hamlets Vater in Auftrag gab, oder als Geist von Helsingör zu erscheinen. Und wenn Nils Kahnwald die blasse, todtraurige Hamlet-Geliebte Ophelia mimt, bekommt er (unfallbedingt im Rollstuhl) ein durchsichtiges Hemdchen über die behaarte Brust gestülpt, während Walter Hess zwischendurch als Hamlets Mutter Gertrud mit Perücke und im Königinnenornat als Maria Stuart erscheinen darf. Und wenn's ganz spannend wird, dann dürfen die drei Protagonisten - natürlich mit dem Rücken zum Publikum - die entsprechenden Original-Sentenzen des großen Elisabethaners von dem über der Bühne angebrachten Laufband völlig emotionslos ablesen.

Doch der Höhepunkt dieses weniger provokativen als lächerlich-läppischen Mummenschanzes zwischen reichlich übertriebener Exzentrik und dem Deklamieren im Stil von Laienschauspielern auf einer Liebhaberbühne sind die Blutorgien, die als running gag immer dann zum Einsatz kommen, wenn die banale "Hamlet"-Version lahmt. Und das ist häufig der Fall. Vor allem wenn der berühmte "Sein oder Nichtsein"-Monolog, gesprochen, gehaucht und weihevoll zelebriert von den größten Schauspielern der letzten Jahrzehnte vom Tonband rauscht, während Trockeneisnebel aufwallt und der Text im Monitor bedrohlich wackelt, da werden auf der Hinterbühne wieder mal die Eimer gefüllt. Rund 30 Stück, um anschließend den Inhalt dieser Kübel sich gegenseitig ins Gesicht zu klatschen und über die Köpfe zu gießen: Insgesamt 240 Liter Theaterblut. Dem Premierenpublikum indes gefiel der Blutrausch: Es jubelte.

Die nächsten Aufführungen heute und am 30. Januar sowie am 16. und 17. Februar. Karten unter (0 89) 23 39 66 02.