München
Die Vermessung der Welt

Peter Keetman war einer der innovativsten Fotografen der Nachkriegszeit In München kann man sein Werk entdecken

03.09.2017 | Stand 02.12.2020, 17:33 Uhr

Foto: DK

München (DK) Spektakuläre Aktionen, aufregende Ereignisse, aufgemotzte Bildbearbeitungsprogramme - das alles benötigte Peter Keetman (1916-2005) nicht, um seine faszinierenden Fotografien zu erzeugen. Der viel zu wenig bekannte Fotograf der Nachkriegszeit schaute einfach genau hin, dachte experimentell - und rang so der oft banalen abgebildeten Wirklichkeit verblüffende ästhetische Meisterleistungen ab.

Das Kunstfoyer der Versicherungskammer in München widmet dem Meister der Schwarz-Weiß-Fotografie derzeit eine groß angelegte Retrospektive mit etwa 360 Exponaten, die in neun Kapiteln das Lebenswerk des gebürtigen Rheinländers und späteren Wahl-Bayern exemplarisch vorstellt.

Unter dem Titel "Gestaltete Welt" wird nicht nur Keetmans fotografische Laufbahn nachgezeichnet. Sichtbar wird auch die Bandbreite des Mediums Fotografie zwischen freiem künstlerischen Schaffen und angewandter Auftragsarbeit. Der Protagonist, der als Kriegsinvalide den Verlust seines linken Beins verkraften musste, verbindet in seinem Å’uvre Natur- und Bewegungsstudien, experimentelle und Industriefotografie.

Auffällig: Der untrügliche Sinn für das ästhetische Bild, für den formvollendeten Ausschnitt, für die perfekten Proportionen. Er fand verblüffende Bilder selbst dort, wo man sie nie und nimmer vermuten würde. Aus Spiegelungen im Wasser, festgefrorenen Schilfpflanzen im Eis, vereisten Pfählen, Wassertropfen, Sand auf Glasplatten oder total banalen Plastikflaschen schuf er spannungsvolle Bildkompositionen, die häufig die abgebildeten Objekte nur mehr erahnen lassen. Abstraktion in Höchstform eben. Die fotografischen Mittel: Spiegelungen, Verfremdungen, Überblendungen, Lichtzeichnungen. Die Ästhetik des Seriellen interessierte ihn ebenso wie Strukturen und Bewegungen.

Zufall war das alles nicht. Keetman, der von 1935 bis 1937 an der "Bayerischen Staatslehranstalt für Lichtbildwesen" in München ausgebildet wurde, war von der 20er-Jahre-Idee des "Neuen Sehens" stark beeinflusst. Fasziniert war er von Albert Renger-Patzsch, Laszlo Moholy-Nagy, Adolf Lazi oder vom französischen Existenzialismus.

Für die Gruppe fotoform - der von sechs Fotografen gegründete Zusammenschluss hatte von 1949 bis 1952 Bestand und ist heute so unbekannt wie Keetman - formulierte er das Credo: "Was wir wollen, ist: den Konservatismus brechen, etwas Neues überzeugend bieten, den Leuten die Augen öffnen ... keine flaue Sache unter unserem neuen Namen."

Was er darunter verstand, zeigte er etwa 1953 mit einer Reportage im Volkswagen-Werk in Wolfsburg. Die Serie, die nicht als Auftragsarbeit der Industrie, sondern in Eigeninitiative entstand, wurde erst in den 80er-Jahren veröffentlicht. Für VW war sie uninteressant, die Motive wurden nie verwendet. Denn Keetman folgte damals keiner Industrie- oder kommerziellen Werbefotografie, in deren Mittelpunkt ölverschmierte Arbeiter, mächtige Maschinen oder die entstandenen Produkte standen. Er gab sich ganz der Ästhetik der seriellen Produktion hin - und den im Vergleich zum Handwerklichen so andersartigen visuellen Phänomenen. Bauteile des legendären "Käfer" werden geradezu zu Ornamenten, der Autolack gerät zum Zerrspiegel - und die Massenfertigung am Fließband zur ästhetischen Überhöhung.

Wie sehr er sich der entstehenden Form verpflichtet fühlte, zeigen auch die von ihm erfundenen Lichtpendel-Aufnahmen - auch Lichtspuren oder lichtgrafische Kompositionen genannt. Mit Hilfe selbst gebauter Konstruktionen, einer elend langen Belichtungszeit und viel Fantasie bannte er rhythmische Bewegungen einer an Drahtseilen schwingenden Lichtquelle, etwa einer Taschenlampe, auf Zelluloid.

Den hier schon in frühester Zeit bewiesenen spielerischen und experimentellen Blick auf die Welt bewahrte sich Keetman ein Leben lang. Beeindruckend.

Kunstfoyer der Versicherungskammer Kulturstiftung, Maximilianstraße 53, München, bis 10. September, täglich geöffnet von 9 bis 19 Uhr. Der Katalog erschien im Steidl-Verlag und kostet 48 Euro.