München
Der Nazi und die Kunst

Die Sammlung des Reichsmarschalls Hermann Göring wird im Bayerischen Nationalmuseum erforscht

22.10.2014 | Stand 02.12.2020, 22:05 Uhr

München (DK) Er hatte einen Hang zu Prunk und Protz, liebte bunt verzierte Marschallstäbe, den Männerkult um die Jagd und trug gerne Operetten-Uniformen: Hitler-Intimus Hermann Göring war wohl der Schillerndste aus der Verbrecherriege des Dritten Reiches. Weil er, das Ende der Nürnberger Prozesse vor Augen, vor ziemlich genau 68 Jahren auf bayerischem Boden Selbstmord beging, fiel sein Erbe an den Freistaat und die Bundesrepublik.

Der Reichsmarschall hatte zu Lebzeiten große Taschen, er sammelte Häuser, Schmuck und Kunst aller Art. Als Raffer und Räuber von Kunst dürfte er sogar noch Hitler übertroffen haben, allein auf seinem Landsitz Carinhall sollen sich 1800 Gemälde befunden haben. Was nicht von den Siegern oder Plünderern geraubt oder zerstört wurde, wurde in den Münchner Central Collecting Point verbracht und von dort aus teils an rechtmäßige Besitzer zurückgegeben, teils auf verschiedene Museen verteilt.

Das Bayerische Nationalmuseum stellte gestern ein Projekt vor, das die Provenienz zumindest eines Teils der Kunstgegenstände erforscht hat, denn bekanntlich wurde ja manche Sammlung im Dritten Reich gewaltsam enteignet.

Der Göring-Nachlass hat aber gleich mehrfach bitteren Beigeschmack, war es um des „Reichspopanz“ Kunstverstand wohl nicht allzu gut bestellt: „Göring hat ja alles gesammelt, da hatte er wohl nicht den Blick für Qualität“, sagt Generaldirektorin Renate Eikelmann. Etwa 5000 Kunstgegenstände soll der Nazi insgesamt zusammengetragen haben – 434 Objekte landeten im Bayerischen Nationalmuseum. Ein Sammelsurium: Von der kleinen bronzenen Löwenmaske als Türklopfer bis zur überlebensgroßen Holzmadonna, das wichtigste der Stücke ist ein heiliger Michael des Bildschnitzers Michael Pacher aus dem Jahr 1460.

Die Forscherin Ilse von zur Mühlen hatte schon bis 2002 für die Pinakotheken den dortigen Göring-Nachlass erforscht. Sie sondierte nun zwei Jahre lang den Bestand des Nationalmuseums – mit dem fatalen Befund, dass nur für drei der bisher lückenlos recherchierten 50 Gegenstände die Provenienz unbedenklich ist, also keine unrechtmäßige Enteignung zugrunde liegt. Am Ende sind die Forschungen noch lange nicht, auch wenn sie sich nun zwei Jahre lang durch die Aktenberge grub: Zu viele verschiedene Inventarnummern und Zuschreibungen gibt es, und zu widersprüchlich ist das überlieferte Material. Bisher konnte zur Mühlen sich gerade einmal den 72 Skulpturen aus dem Nachlass, zumeist gotischen Stils, widmen. „Seine Themenschwerpunkte waren Madonnen und einige Reiter – einen Gekreuzigten beispielsweise werden sie hier vergeblich suchen“, sagt sie und gibt Einblick, wie Göring zu seiner riesigen Sammlung überhaupt kam: „Faktisch hat er sich Geschenke erbeten – von Industriellen und NSDAP-Organisationen.“ Zur Mühlens Forschungsprojekt lief jetzt aus. Dass am Nationalmuseum aber neuerdings für Provenienzforschung eine feste Stelle eingerichtet werden konnte und auch zur Mühlens Göring-Forschungsprojekt vermutlich fortgesetzt werden kann, führt Direktorin Eikelmann auf den spektakulären Fall Gurlitt zurück. Seitdem würden staatliche Mittel bereitwilliger zur Verfügung gestellt. Das Bayerische Nationalmuseum ist mit Rückgaben nach eigenem Dafürhalten von jeher sehr aktiv – die erste erfolgte bereits 1975. „Wir gehen offensiv und offen mit der Provenienz um – wir haben nichts zu verbergen“, betont der neu berufene Mitarbeiter Alfred Grimm. Dass sich nun also auch für den Göring-Fundus rechtmäßige Erben melden könnten, sehen die Museumsleute gelassen: „Wir hoffen sogar, dass sich durch die Veröffentlichung vielleicht jetzt doch noch jemand meldet“, sagt Eikelmann.

Allerdings sind derzeit nur elf der Gegenstände überhaupt in der Schausammlung zu finden – im Rahmen der derzeitigen Sonderpräsentation werden Besucher nun auf sie hingewiesen. Die meisten anderen Skulpturen dieser Provenienz würden nicht der Qualität der Sammlung entsprechen, behauptet die Direktorin. Auf dem derzeit wenig umworbenen Markt für gotische Skulptur „ohne großen Namen“, wären sie wohl alle zusammen keine Million Euro wert.

Und einige faule Eier haben die Forscher auch noch gefunden in diesem Geschenkkorb voller Widerhaken: Vermutlich handelt es sich bei einem guten Dutzend der Werke um Fälschungen.

Kenner erinnern sich in diesem Kontext an eine spektakuläre Vermeer-Fälschung aus der Werkstatt des niederländischen Kunsthändlers Han van Meegeren, welche dieser dem NS-Bonzen in einem schlauen Deal untergejubelt hatte. Es gibt noch viel zu tun.