München
Der Motor als Gebetsmühle

Die Sinnlichkeit von Maschinen: Kolben und Scheibenwischer von Thomas Bayrle im Kunstbau am Königsplatz

03.01.2017 | Stand 02.12.2020, 18:50 Uhr

Foto: DK

München (DK) Es ist laut in dieser Halle, denn hier leben Maschinen. Motoren starten stotternd, laufen dann im Takt und bewegen sich im eigenen Rhythmus. Die Geräusche sind vielfältig und übertönen die menschlichen Stimmen, die zuweilen zu hören sind.

Nein, die Rede ist nicht von einer industriellen Fertigungshalle, sondern vom Kunstbau München, jenem Ausstellungsraum des Lenbachhauses, der zwischen U-Bahn-Station und Königsplatz eingebettet ist in ein langgestrecktes, unterirdisches Zwischengeschoss. Hier zeigt Thomas Bayrle seine Motoren und Filme - es gäbe wohl keinen idealeren Raum für diese mechanisch vor sich hin arbeitenden Maschinen.

Es ist eine Schau ohne Farben - nur grauer Beton, metallisch glänzende Maschinen und der helle Holzfußboden sind zu sehen. Und es ist eine Ausstellung zum Hinhören: Auch wenn die Aufseher Lärmschutz-Kopfhörer tragen, ist für den Besucher, der sich hier eine Stunde lang bewegt, der Klang der Maschinen eindrucksvoll.

Es sind Automotoren darunter: von Moto-Guzzi, Citroën und Volkswagen. Sie waren einmal das Herzstück eines Fahrzeuges - jetzt liegen sie offen und pumpen im Takt. Jeder klingt anders. Und nicht nur das: Thomas Bayrle hat ihnen einen Untertext beigefügt, das Gebet des Rosenkranzes, auf Italienisch, Französisch und Deutsch. Der Motor als Gebetsmühle?

Der Künstler, Jahrgang 1937, erzählt den Journalisten, dass er sich als Kind immer in die Kirche geschlichen habe, wenn dort einmal in der Woche die alten Frauen den Rosenkranz beteten. Das monotone, leiernde Sprechen der Gebete, das "Abarbeiten" der Sünden in der vielfachen Wiederholung, und die Fröhlichkeit der Frauen am Ende der Gebetsstunde - all dies hat den Buben so beeindruckt, dass er Jahrzehnte später darauf zurückgreift.

Bayrle ist in Frankfurt aufgewachsen - dort wurde 1956 das große Autobahnkreuz eingeweiht. Er hat damals in einer industriellen Weberei gearbeitet, danach besuchte er die Werkkunstschule Offenbach und arbeitete als Grafiker. Von 1975 bis 2002 war er Professor an der Städelschule in Frankfurt, prägte nachfolgende Künstler-Generationen und arbeitete mit computergenerierten Bildern. So entstanden Filme, deren Motive als Serie so ineinandermontiert sind, dass ein großes Bildthema aus vielen kleinen zusammengesetzt ist. Filmsequenzen eines Autobahnkreuzes ergeben zusammengesetzt einen Gekreuzigten, über dessen Körper eine Fließbewegung entsteht durch die Fortbewegung der Fahrzeuge. Auch diese Filme sind in der Ausstellung zu sehen.

Was also auf den ersten Blick wie eine Auseinandersetzung mit dem Fetisch Auto anmutet, entpuppt sich bei genauem Studium als Versuch, einer Spiritualität der meditativen Wiederholung Raum zu geben. Ein Scheibenwischer bewegt sich zu dem endlos wiederholten Gebet "Bitt für uns", und ein sogenannter "Sternmotor" arbeitet zur Sound-Collage eines Hochamtes. Und spätestens hier stellt sich dann die Frage, ob es nicht einen noch besseren Ausstellungsort für diese Werke gäbe: eine Beton-Kirche aus den 1970er-Jahren, nüchtern und kühl, aber mit einer guten Akustik für den Sound von Thomas Bayrle.

Bis zum 5. März im Kunstbau am Münchner Königsplatz, geöffnet täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, dienstags bis 20 Uhr.