München
Der Buckel und der Narr

David Jakobs spielt den Quasimodo im "Glöckner von Notre Dame" und spricht mit dem Rollstuhlfahrer Max Dorner über Behinderung

01.01.2018 | Stand 02.12.2020, 17:00 Uhr

Foto: Sabine Busch-Frank

München (DK) Behinderung auf der Bühne - das kennt man aus vielen Klassikern, von lispelnden oder stotternden Operettenfiguren wie dem schönen Sigismund im "Weißen Rössl" über den buckligen Hofnarren Rigoletto bis hin zu dem blinden, senilen King Lear. Aber nur auf den ersten Blick sind solche Theaterpersönlichkeiten gelebte Inklusion - auf den zweiten erweisen sich die Figuren immer auch als charakterlich problematisch. Und fast immer ist die Behinderung ein Teil des Spiels, dargeboten von einem sich entsprechend verstellenden Schauspieler. Bühnenkünstler mit echter Behinderung wie die unter der Glasknochenkrankheit leidenden Schauspieler Jana Zöll oder Peter Radtke oder der contergangeschädigte Bariton Thomas Quasthoff hingegen klagen darüber, nie entgegen ihrer Körperlichkeit besetzt zu werden. Auch der Glöckner von Notre Dame, von Geburt an mehrfach behindert, wird in München von dem sportiven und gerade gewachsenen Musicaldarsteller David Jakobs (34) gespielt. Max Dorner (44), Autor, Kabarettist und Regisseur, ist an MS erkrankt und Rollstuhlfahrer, daneben aber ein höchst agiler Botschafter für Menschen mit Behinderung. Kürzlich besuchte er im Deutschen Theater eine Vorstellung des Musicals mit David Jakobs in der Titelrolle. Beide trafen sich hinterher zum Gespräch.

Herr Jakobs, Sie verwandeln sich auf offener Bühne mittels Buckelsack und Schminke in den Glöckner - wie haben Sie sich die rollentypischen Bewegungsmuster erschaffen?

David Jakobs: Ich bin da erst mal voll reingegangen und habe in den Proben versucht, mich so verkrümmt wie möglich zu geben. Aber ich habe schnell gemerkt, was das für ein Kraftakt ist. So musste ich lernen zu kanalisieren. Ich habe eine Art Zeichensprache entwickelt und inzwischen, in den immerhin neun Monaten, in denen ich die Rolle spiele, hat sich auch mein Bewegungsmuster verändert. Ich arbeite beispielsweise stärker mit den Händen, wodurch ich auch mal meinen Rücken entlasten kann. Dennoch muss ich mittels Physiotherapie ständig an meinen Verspannungen arbeiten. Aber ich vergesse auch nie, dass der Körper nur die Hülle des Glöckners ist.

 

Was meinen Sie, Herr Dorner, zu dem Bild des Glöckners als Behinderter?

Max Dorner: Als Mensch mit Behinderung sieht man bei einem Menschen, der die Behinderung spielt, natürlich stark eben das Vorgeben, das Spiel. Ich habe da oft ein Unbehagen, das ist wie das Black-Facing, wo ein hellhäutiger Mensch Schuhcreme aufträgt und dann einen Farbigen spielt. Ich fand in diesem Fall charmant, dass es hier nicht überspielt ist, kein großer Zirkus, sondern mit einer gewissen Lässigkeit. Das kenne ich auch anders, beispielsweise im Residenztheater, wo derzeit der Richard III. gegeben wird. Dieses Spiel kann schnell kippen und überzeichnet werden, das wird für mich persönlich dann unangenehm. Was mich aber hier bei dem Musical gestört hat, ist die dem Stück innewohnende Problematik, dass man Schwerhörigkeit ja schlecht komponieren kann. Der Glöckner müsste ja eigentlich jede Bemerkung schlecht verstehen.

Jakobs: Dieses Thema habe ich oft mit den Machern besprochen, das ist im Stück inkonsequent gehandhabt. Auch wenn wir davon sprechen, dass die Figur ihre Behinderung ablegt, wenn sozusagen die Seele singt, ist das doch eine Unstimmigkeit, an der ich immer wieder arbeite und Kompromisse finde. Dennoch: Wir sprechen hier so viel über Behinderung, aber ich habe Quasimodo zunächst tatsächlich nur als Person angenommen.

Dorner: Das ist die spannende Frage, ob Behinderung ein Teil der eigenen Identität ist oder dazu kommt. Bei mir ist es das Nicht-laufen-Können, das in die Identität einsickert und manchmal schon ein Teil von mir geworden wird. Wie groß dieser Teil ist, das changiert dauernd. Diese Frage beantworte ich für mich jeden Tag und je nach Situation anders.

 

Ein eher mutiger Moment des Musicals ist ja, dass eine entstellte Persönlichkeit erst dann ein Problem mit sich selbst bekommt, als sie sich, wie Zemlinskys Zwerg, sozusagen im Spiegel der Welt erblickt.

Jakobs: Ja, der Glöckner nimmt den Umstand, hässlich zu sein, als normal an.

Dorner: Ich bin daher auch froh, dass die Dramaturgie des Stückes auf das Happy End verzichtet und Quasimodo nicht als "bester Freund" neben dem glücklichen Paar stehen muss.

Jakobs: Das ist sozusagen Disney für Erwachsene. Für Kinder ist die Handlung durchaus eine Herausforderung. Wenn man aber die Show düster nennen wollte, dann ist das immer noch disney-düster, nicht Residenztheater. Wir sind mit dem Stück, und das finde ich besonders, auf einem Weg in die Zukunft des Musicals. Nun ist es ja auch eine amerikanische Inszenierung, die wir hier übernommen haben. Sie verficht das dort derzeit sehr populäre "story-telling". Die Regie-Idee ist: Menschen treffen sich auf dem Marktplatz und einer spielt den Quasimodo. Das kommt vielleicht in unserer Adaption nicht so extrem rüber, wir haben ja hier insgesamt einen anderen Zugang zu dem Stück und daher eine eigene Version des Musicals.
 

Schauspiel ist aber immer das Hineinschlüpfen in andere Typen, Voraussetzungen, Körper, somit größtmögliche Freiheit und Begrenzung gleichzeitig.

Jakobs: Ja, und da ist Quasimodo in Körperlichkeit und stimmlicher wie emotionaler Bandbreite schon eine echte Herausforderung. Ich habe einen großen Farbkasten, den ich benutzen darf, das hilft gerade bei langer Spielzeit. Man muss immer auf die Details sehen.

 

Herr Dorner, Sie sind auf der Bühne deutlich mehr in Ihrer Körperlichkeit begrenzt - wie geht man mit dieser Kondition um, ist der Rollstuhl immer lästig oder gibt es positive Nebeneffekte?

Dorner: Es ist meistens eher lästig. Schön ist, dass die Momente von Scham nicht mehr vorkommen, weil man sich die nicht mehr leisten kann. Ich glaube, ich bin sehr viel freier geworden, auch in meiner Außenwirkung. Behinderung ist aber eben auch ein Fulltime-Job, so wie Jakobs sein Stück neun Monate spielt, muss ich das meine nun seit neun Jahren spielen und da ist man mal gut, mal weniger gut, mal mehr und mal weniger souveräner. Aber es gibt eben auch Situationen, wo der Rollstuhl einfach keine Rolle spielt.

 

Das Musical hat gerne extreme Hauptfiguren wie in "Die Schöne und das Biest" oder "Phantom der Oper", dabei sind die meisten Darsteller eher Models als Monster. Der soziale Außenseiter ist niemals so interessant, wie wenn er auf der Bühne steht, oder?

Jakobs: Ich gehe ja selbst auch ins Theater, um berührt zu werden, live und zum Greifen nah. Wenn ein Kollege ehrlich ist auf der Bühne, das packt mich - die Rolle ist da nicht entscheidend.

Dorner: Aber die spannenderen Rollen sind doch immer die Bösewichte!

Jakobs: Ja, als Schauspieler ziehe ich natürlich auch die markanten Rollen vor oder kitzle zumindest aus einem glatten Charakter die Probleme heraus. Für Regisseure ist das, jenseits von Behinderung oder Nichtbehinderung, wahrscheinlich die zentrale Frage: Wie viel Persönlichkeit will ich besetzen? Alle Menschen, die Kanten haben, fallen ja auch auf.

 

Die Fragen stellte

Sabine Busch-Frank.