München
Dem Zeitgeist die Stirn bieten

Nach 27 Jahren Intendanz an der Münchner Schauburg halten George Podt und Dagmar Schmidt Rückschau

21.06.2017 | Stand 02.12.2020, 17:54 Uhr

Foto: DK

München (DK) Hier wird noch geraucht. Im Besprechungsraum der Schauburg, exakt an der Grenze zwischen Schwabing und der Maxvorstadt gelegen, dampft der Aschenbecher vor Intendant George Podt, und man kann sich gut vorstellen, wie immer wieder auch die Köpfe geraucht haben mögen, während der 27 Jahre, in welchen er zusammen mit seiner Frau und Chefdramaturgin Dagmar Schmidt die Geschicke des Theaters geleitet hat.

Der gebürtige Niederländer, Jahrgang 1949, sprang als Nothelfer ein, als seine Vorgängerin das Handtuch warf und das Theater plötzlich führungslos war. Mit Sack, Pack und zwei Söhnen zog die Familie um - und blieb. Mehr als ein Vierteljahrhundert leiteten Podt und Schmidt ein Haus, welches im besten Falle lebenslange Theaterleidenschaft entfachen soll bei Kindern und Jugendlichen. Sie lebten eine Philosophie der gezielten Überforderung, erschufen ein im deutschen Sprachraum wegweisendes Labor für professionelles Kindertheater ohne Lutscher und Schleifchen.

Bereut haben die beiden Theaterleute ihre Entscheidung nicht. "Das wäre ja blöd, sich jetzt zu beklagen, nachdem wir es 27 Jahre lang einfach gut hatten!", befindet Schmidt, und Podt ergänzt: "Am Anfang haben wir uns schon gefragt, warum man uns eigentlich aus Amsterdam holt, wenn dann sofort die Diskussion aufkommt, ob man das Grundstück, auf dem das Theater steht, nicht verkaufen könnte." Dazu Schmidt: "Aber damals hat uns die große Solidarität der Münchner vor der Schließung bewahrt. Da war eine große Kraft spürbar, die man heute vielleicht so nicht mehr fände." Das jahrzehntelange gemeinsame Denken und Arbeiten hat die Rollenverteilung des Paares geformt: Er setzt Marken, sie formuliert aus. Er zieht dann an der Zigarette, und sie übernimmt den Impuls. Die Redeanteile sind dabei extrem ungleich verteilt, die Leidenschaft ist eher aufseiten der quirligen Frau mit dem silbernen Kurzhaarschnitt, er raucht und ruht. Seinen Abschied mit einer aufwendigen eigenen Regiearbeit zu feiern, wie es ja gelegentlich sogar Intendanten pflegen, die bisher noch nicht sonderlich erfolgreich als Regisseure waren, wäre Podt nicht in den Sinn gekommen: "Meine Stärke liegt eher darin, ein Haus zusammenzuhalten und die Menschen dort zu begleiten", findet er - obwohl die dicke Produktionsliste in dem Buch, welches das Theaterpaar sich zum Resümee von 27 Jahren Arbeit gegönnt hat, eine andere Sprache spricht. "Ich war meistens nur der Einspringer, wenn uns während der Produktion die Regie abhandenkam oder wie neulich, als wir den Flüchtling und afghanischen Künstler Ahmad Shakib Pouya für Fassbinders ,Angst essen Seele auf' nach Deutschland wieder einreisen lassen konnten. Das war bis zuletzt ein so wackliges Projekt, das wäre einem Regisseur nicht zumutbar gewesen."

Der politische und gesellschaftliche Aspekt des Theatermachens dagegen war beiden immens wichtig. "Oft begannen unsere Dramaturgie-Besprechungen schon morgens beim Frühstück und Radiohören", lacht Dagmar Schmidt. Klar auch, was sie nicht wollten: Marketing als das Schielen auf Verkaufbarkeit und "Kunst für Kinder - das ist ein Schmarrn", so Schmidt. "Ob man Spuren hinterlassen hat, sieht man ja erst später, und das klappt unserer Erfahrung nach nie, wenn das Konzept zu einfach ist. Wir haben stets die großen Stoffe gesucht - und alte Stoffe interessieren uns alle doch einfach mehr. Unsere Zeit hat ein so schnelles Verfallsdatum, da kommt Theater sowieso nicht mit. Dieses Unzeitgemäße haben wir immer genossen."

Wie es jetzt wohl bei diesem Ehepaar weitergeht, als Jung-Rentner? Für die Nachfolgerin Andrea Gronemeyer, die aus Mannheim kommt, hat Podt seine letzte Saison verkürzt. Sie will einige Umbauten vornehmen lassen vor ihrem Neustart und braucht die Zeit. Doch allzu eng will der scheidende Intendant diese Übergabe nicht gestalten: "Das hier ist ja kein Erbhof, und wir sitzen nicht im Austragshäuschen", befindet er. "Ich lege den Schlüssel auf den Tisch und fertig." Pläne für die Zeit nach dem Theaterleben sind natürlich längst geschmiedet, Podt will sich verstärkt um die Söhne kümmern, vor allem um den älteren, der eine schwere Behinderung hat.

Er will aber auch einfach ausprobieren, wie es ist, einmal viel Zeit zu haben, sich vielleicht sogar zu langweilen. Er denkt sogar darüber nach, sich ein Hobby zuzulegen - was seine Frau mit überschäumender Vehemenz ablehnt. Sie selbst freut sich darauf, endlich ausführlich in Erwachsenentheater zu gehen und keine Kinderbücher mehr lesen zu müssen. Ganz kann sie aber auch nicht davon lassen: Dagmar Schmidt würde gerne Kindern an einer Grundschule ehrenamtlich das Lesen nahebringen, getreu dem Rabelais-Motto, welches sie ihrem Abschiedsbuch beigegeben hat: "Kinder sind keine Fässer, die gefüllt, sondern Feuer, die entfacht werden wollen." Podt lächelt fein und zieht an seiner Zigarette.