München
Das Herz ist ein blutiges Schnitzel

Herbert Achternbuschs "Dogtown Munich" wurde im Münchner Volkstheater uraufgeführt

13.02.2017 | Stand 02.12.2020, 18:39 Uhr

Ein bisschen muss der Dackel schon immer dem Herrn Pfarrer ans Bein pinkeln: Julia Richter, Leon Pfannenmüller und Moritz Kienemann bei einer bajuwarischen Kreuzigungsvariante im Münchner Volkstheater. - Foto: Neeb/Volkstheater

München (DK) Neulich gab es in einer Münchner Zeitung einen Bericht über Stadtbeschimpfungen - und München wäre nicht München, wenn hierbei nicht Neid angeklungen wäre auf die herrlichen Verrisse, die Augsburg, Essen oder Bochum sich ins goldene Buch der Stadt schreiben dürfen. München ist Mittelmaß, was die Klischees angeht - viel mehr als das neureiche Getue der Bussibussis, die Sucht, sich jedes Wochenende per Cabrio in den Stau gen Alpen einzureihen und den peinlichen, wirtschaftlich allerdings sehr zugkräftigen Trachtenfasching Ende September sagt man der Isarstadt selten nach.

All das kennt man hier seit Langem, das lockt keinen Dackel mehr unter der Bierbank hervor. So hoffte wohl mancher der dicht um die kleine Bühne des Volkstheaters gedrängten Zuschauer auf eine saubere Stadtbeschimpfung, als am Sonntagabend das Achternbusch-Stück "Dogtown Munich" uraufgeführt wurde. In Lars von Triers "Dogville" aus dem Jahr 2003 zerfleischt schließlich die scheinmoralische Bevölkerung eines Rocky-Mountain-Kaffs eine schutzsuchende Frau - und wird von ihr zum Schluss gerichtet.

Achternbuschs Theaterstück mit Prolog spielt darauf an - aber nur ganz fein, quasi im Vorübergehen. Moral und Bewertung liegen auch der in Köln lebenden Regisseurin Pınar Karabulut fern, sie lässt es lieber theatergewaltig krachen und dampfen, spritzen und wummern. Dass sie dafür dem ihr zur Uraufführung anvertrauten Text von Achternbusch, den sie seit ihrer Münchner Studienzeit verehrt, herzhaft zu Leibe rückt, Stellen strafft, umstellt, vor allem aber das Personal auf vier Darsteller schrumpft, trägt nicht wenig dazu bei, dass man einen überraschend frischen, dabei aber leider irrelevanten Achternbusch erlebt.

Das Stück des 78-Jährigen hat vor der Premiere schon zwei Jahre in der Schublade gelegen, bevor es Christian Stückl an Münchens Volkstheater zur Uraufführung angenommen hat - auf der kleinen Bühne, wo sonst doch die Kammerspiele auf Achternbusch abonniert waren! Ein großer Wurf deutet sich anders an. Am Premierenabend balancieren die Zuschauer auf zur Sitzdisziplin zwingenden Bierbänken zu beiden Längsseiten der fast leeren Bühne, die ein absenkbarer, monströser Neon-Heiligenschein beherrscht. Sie lassen sich ankeuchen, anschreien, die Brille behauchen und mit getragenen Sportsocken bewerfen. Das Blut spritzt, eine Handvoll Glibber wird entbunden, beeindruckende Athletik abgeliefert. Die vier Darsteller hetzen durch die Rollen des Theatertextes, geben alles, und es wird doch kein Stück daraus: Fragmentarisch reiht die Regie Szene an Szene, hackt sich durch die Textseiten. Es entstehen sehr wohl starke Theaterbilder, wie gleich zu Beginn ein maschinenhaft der Heimkunft entgegen staksender antikischer Wanderer durch den Theaternebel. Auch eine Kreuzigungsszene mit Bierbänken oder ein auf ein Folterrad geknüpfter Papst brennen sich ein. Doch immer geht das Leben atemlos weiter, wischt die Regie mit schneller Hand die Bühne wieder frei für das nächste Tableau, die nächste Idee.

So kommt an diesem schnellen und lauten Abend einiges auf die sich stetig verschmutzende Bühne - aber jeder Ansatz eines Nachrufs oder das Jammern eines alten Mannes über verlorene Chancen und Zeiten sind tabu. Wer das Stück verstehen will - denn eigentlich hat Achternbusch eines geschrieben! - sollte es gelesen haben.

Aber gejammert wird nicht, und das ist schon mal viel wert und bestimmt auch in Achternbuschs Sinne. Der lebt zurückgezogen einen Steinwurf vom Marienplatz entfernt in einer städtischen Wohnung, dort, wo nach dem Siegeszug der Gentrifizierung nur noch teure Zweitwohnsitze und noch teurere Geschäftsflächen das Herz Münchens bestimmen. Der Premiere blieb der Autor fern, dem Olymp näher als den Niederungen des Kulturbetriebes. Übrigens hätte man ahnen können, dass Achternbusch eine München-Abrechnung nur langweilen würde, stammt von ihm doch der Aphorismus: "Da Venedig, wie ich höre, eine Stadt ist, kann es nicht anders sein als Köln. Denn Köln habe ich gesehen." Am Ende ist halt alles nur Wurst - das gilt für die Weißwurst wie den Hundehaufen, den Achternbusch gekonnt an den Schlusspunkt seines Stückes setzt.

Weitere Vorstellungen: 21./22./24. Februar bis in den März hinein.