München
Cowboys auf Kulturtrip

Langsam oder langweilig? Uraufführung von Philippe Quesnes "Caspar Western Friedrich" an den Kammerspielen

02.02.2016 | Stand 02.12.2020, 20:15 Uhr

"Caspar Western Friedrich" vereint das Western-Genre mit der romantischen Malerei. Es spielen: Franz Rogowski, Johan Leysen, Peter Brombacher, Julia Riedler und Stefan Merki (von links). - Foto: Argyroglo

München (DK) Langsam schlendern sie durch die Tür des Eisernen Vorhangs: vier Cowboys (Peter Brombacher, Johan Leysen, Stefan Merki, Franz Rogowski) und ein Cowgirl (Julia Riedler). Großkarierte Hemden haben sie an, Lederjacke drüber und den obligaten Stetson-Hut auf dem Haupt: Ruppige Gestalten im Trapper-Outfit aus dem Wilden Westen.

Ein Lagerfeuer entfachen sie, schließlich ist es ja eiskalt, und mit klammen Fingern lässt sich auch schlecht Gitarre spielen. Und um die Einsamkeit zu vertreiben, muntern sie sich gegenseitig mit Hillbilly-Songs und anderen Schnulzen auf. Eine Arbeitspause, eine sehr lange, gönnen sie sich, denn sie sind nicht nur einsame Cowboys, sondern auch Handwerker und Bauarbeiter, die irgendwo in den Rocky Mountains ein Museum errichten sollen. Nicht irgendeines, sondern die nach Caspar David Friedrich, dem romantischsten aller romantischen deutschen Maler, benannte Gemäldegalerie "Caspar Western Friedrich".

Einen verantwortlichen Bauleiter freilich gibt es hier nicht. Also lassen sich die Herren Handwerker bei ihrer Arbeit auch Zeit, unendlich viel Zeit, während die ersten Theaterbesucher bereits kopfschüttelnd den Musentempel in der Münchner Maximilianstraße verlassen. Gemächlich, ohne jeglichen Anfall von Stress werden auf hohen Leitern die Wände des Museums geweißelt. Und die noch verpackten Kunstwerke werden in dem Riesenraum ständig hin- und hergeschleppt. "Time is money" mag ja überall in den USA die Maxime sein, nicht aber hier im Wilden Westen, und schon gleich nicht beim Auf- und Ausbau dieses "Caspar Western Friedrich-Museums".

Pausen, viele Pausen legen diese Cowboys bei ihrer absolut nicht schweißtreibenden Arbeit ein, plaudern ein wenig, begutachten die Werkzeuge, tänzeln mit den Malerrollen auf Kinn und Fingerspitzen balancierend durch die Baustelle. Dazu hüllen Caspar David Friedrichs real gewordene Nebelschwaden den Raum kräftig ein, während Gedichte von Heinrich Heine, Joseph von Eichendorff und Novalis aus dem Off erschallen und Reflexionen von C. D. Friedrich über das Wesen und die Aufgabe der Kunst auf die frisch gestrichenen Wände projiziert werden. Als Dreingabe gibt's noch Musikfetzen aus Kompositionen der deutschen Romantik zu hören, und die Titel aller Gemälde des Malers werden von einer Geisterstimme heruntergerattert.

Das Prinzip der Entschleunigung hat diese bunt zusammengewürfelte Handwerker-Crew schließlich schon längst verinnerlicht, bevor es in der Politik- und Sozialwissenschaft en vogue geworden ist. Nur Kulturbanausen suchen bei dieser Theaterperformance das Weite. Doch davon wurden es im Verlaufe der Aufführung immer mehr, nachdem sie sich gefragt haben, was dieser Mumpitz einer fast zweistündigen texanischen Handwerkershow mit der Projektion auf die deutsche Romantik eigentlich soll. Doch erst kurz vor dem ersehnten Ende, wiederum mit Lagerfeuer und Gitarren-Geklopfe, zündete der französische Autor und Regisseur Philippe Quesne einen passablen Regiegag: Vor einem riesengroßen Prospekt von Caspar David Friedrichs "Wanderer über dem Nebelmeer" erproben die Cowboys und das Cowgirl, ob der von dem einsamen Wanderer auf Bergeshöh ausgestoßene Jodler auch als Echo zurückhallt. Und weil dies tatsächlich der Fall ist, werden vor Freude gleich noch die unvermeidlichen Selfies vor dem Panorama des Elbsandsteingebirges gemacht. Und sonst?

Bis zum Beginn der Intendanz von Matthias Lilienthal im vergangenen Jahr waren die Münchner Kammerspiele eigentlich ein Hort großer Regie- und Mimenkunst. Jetzt genügt anscheinend eine abgebrochene Maler-, Zimmerer- und Bauarbeiterlehre oder einfach nur das selbst ausgestellte Zertifikat eines amateurhaften Bastlers oder Heimwerkers.

Selten war das Premierenpublikum in den Kammerspielen so gespalten wie bei dieser Uraufführung: Elegie der Langsamkeit oder unsäglicher Ausbund an Langeweile? Beides. Doch mehr das Letztere.

Weitere Termine: 5., 7. und 27. Februar. Telefon: (089) 23 39 66 00.