München
Courage zum eigenen Ich

Peter Lindbergh ist einer der einflussreichsten Modefotografen der Gegenwart Retrospektive in München

14.04.2017 | Stand 02.12.2020, 18:18 Uhr

"From Fashion to Reality" heißt die Münchner Schau über das Schaffen von Peter Lindbergh. Zu sehen ist auch dieses Foto mit Estelle Léfebure, Karen Alexander, Rachel Williams, Linda Evangelista, Tatjana Patitz und Christy Turlington von 1988. - Foto: Lindbergh/Gagosian Gallery

München (DK) Peter Lindbergh trägt ein schlichtes schwarzes T-Shirt und dunkle Jeans, als er sich in seiner eigenen Ausstellung dem Blitzlichtgewitter der Zeitungsfotografen stellt. Und schon bald schießt er mit seinem Smartphone zurück, fotografiert die aufgeregten Kollegen lächelnd und wie nebenbei.

Dann beginnt er, über seinen eigenen Stil Auskunft zu geben. Und da zeigt sich: Lindbergh ist ein Geschichtenerzähler - auch mit seiner Kamera. Die 220 Fotografien aus 40 Jahren, die jetzt in der Hypo-Kunsthalle zu sehen sind, zeigen Gesichter, zuweilen auch Mode, aber sie zeigen vor allem Stimmungen, Emotionen eines Augenblicks.

Lindbergh ist Profi, und als solcher weiß er: Wenn man nichts zu erzählen hat, dann geht man an den Strand und macht dort ein paar Aufnahmen. Aber eigentlich empfindet er ein solches Arbeiten als langweilig. Deshalb fotografiert er 1988 eine Gruppe von sechs Models, die lediglich schlichte weiße Hemden tragen. So entstanden Aufnahmen von jungen Frauen, die herumtollen - und nichts anderes zeigen als ihre Fröhlichkeit. Die Mode, die sie tragen, ist nebensächlich - und dennoch erntete der Fotograf mit diesen Aufnahmen der Lebenslust internationale Anerkennung. Sein Statement: "Man kann nicht einfach die ganze Welt, die vor einem liegt, ignorieren; es wäre keine Herausforderung, Modefotografie einfach auf Mode zu reduzieren."

Das Zitat schmückt einen schwarzen Raum, der dem Archiv des Fotografen nachgebaut ist. In silbrig glänzenden Metallregalen lagern Kartons mit Abzügen, Kameras, Koffer, ein Kalender und wenige Bücher. Ein anderer Raum ist als Dunkelkammer inszeniert, mit Rotlicht und Wäscheleinen, an denen Abzüge zum Trocknen aufgehängt sind. Beim Gang durch die Ausstellung erlebt der Besucher einen Wechsel an Lichtintensität und begegnet einer Vielfalt an Medien, denn neben den Fotos sind auch Modezeitschriften, persönliche Notizen und Ausschnitte aus Videos zu sehen. Und die wichtigsten Aufnahmen hängen als überlebensgroße Abzüge in Räumen, die schwarzer oder weißer Kubus sind, sodass die Fotografien zu schweben scheinen.

Kurator Thierry-Maxime Loriot hat das Werk Lindberghs sorgfältig inszeniert und gerade nicht chronologisch gehängt, sondern nach Themen geordnet. Das zahlt sich aus, denn die teilweise wandgroß aufgezogenen Aufnahmen sind tatsächlich zeitlos, weil die Mode nicht im Vordergrund steht. Eine Korsage, Sandaletten und ein Chiffonkleid mit Swarowski-Kristallen liegen als einzige Mode-Objekte in Vitrinen - auf dem Foto wirkt das kostbare Kleid wie ein zerrissenes Brautkleid. Den zusätzlichen Raum, in dessen Mittelpunkt sich eine Plattform mit Swarowski-Kristallen dreht, hätte sich der Kurator freilich sparen können. Lindbergh hat vielmehr im Laufe seines beruflichen Lebens seinen Blick für Persönlichkeiten und Emotionen geschult. Er zeigt eine herbe, strenge Jeanne Moreau mit dunkel nachgezogenen Lippenkonturen, er fotografiert Tina Turner mit geschlossenen Augen hingegeben an den eigenen Gesang, und in den Händen von John Galliano blitzt die große Schneiderschere auf. Die Haut des ukrainischen Balletttänzers Vladimir Malakhov zeigt Alterungsspuren, Kate Moss schaut melancholisch vom Ausstellungsplakat auf die Straße. Und immer wieder entstehen Serien, die wie Film-Stills anmuten: Models als Friedens-Demonstranten auf einer in Rauch gehüllten Straße; Models in Uniformen, die mit geballten Fäusten an monströsen Maschinen stehen. Sie alle öffnen ihr Gesicht diesem Mann, der bekennt: "Schön ist man, wenn man die Courage hat, man selbst zu sein!"