München
Braves Lehrstück

Amir Reza Koohestanis "Die Attentäterin" an den Kammerspielen

11.03.2018 | Stand 02.12.2020, 16:42 Uhr

Wo ist das Motiv für den Anschlag? Thomas Wodianka und Mahin Sadri in dem Stück "Die Attentäterin" in München. - Foto: Buss

München (DK) An einem langen, aseptischen Tisch - schließlich sind wir ja in einem Krankenhaus - nehmen die Ärzte, Pflege- und Hilfskräfte gemeinsam ihr Mittagessen ein. Nicht gerade appetitanregend sind freilich die Gespräche zur Fast-Food-Mahlzeit: Über die Größe und die unterschiedliche Beschaffenheit der Penisse von Juden und Moslems sowie über blutige Beinamputationen geht das für alle Beteiligten so amüsante Dialog-Pingpong in einem Krankenhaus in Tel Aviv hin und her.

Doch die muntere Mittagspause findet plötzlich ihr Ende: Im Café nebenan, in dem gerade ein Kindergeburtstag gefeiert wurde, ist eine Bombe gezündet worden. Die Rettungskräfte und das Ärzteteam sind in Alarmstimmung. Und bald stellt sich auch heraus, dass 17 tote Kinder aufgrund dieses Selbstmordattentats einer Palästinenserin zu beklagen sind.

Doch hier beginnen bereits die Klischees und der allzu sehr konstruierte Plot dieses von Mohammed Moulesshou unter dem Pseudonym Yasmina Khadra verfassten Romans, den Amir Reza Koohestani zu einem allzu braven Lehrstück über die Auseinandersetzung zwischen Israelis und Palästinensern um den Besitz des Landes und des wenig gedeihlichen Zusammenlebens zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen umgearbeitet hat: Amin Jaafari, der angesehene Chirurg (Thomas Wodianka), ist als Moslem Chef in einem Krankenhaus in Tel Aviv, und die Selbstmordattentäterin, die bewusst die Kinder und sich selbst getötet hat, ist dessen muslimische Ehefrau, die Terroristin Sihem.

Da gibt es für den ermittelnden, gewaltig überforderten Polizeikommissar (Samouil Stoyanov) samt seinen Helfern einiges zu tun: Was wusste Amin von diesem Terroranschlag seiner Gattin? Was waren die Beweggründe für Sihems abscheuliche Tat? Wer sind die Hintermänner? War Amins Frau eine Agentin der palästinensischen Untergrundorganisation oder gar des israelischen Geheimdienstes Mossad? Viele und noch mehr Fragen in dem nicht unbedingt mit rechtsstaatlichen Methoden durchgeführten Verhör ohne klare Antworten. Ein Krimi auf Sparflamme, der dadurch auch nicht spannender wird, wenn Amir Reza Koohestani als Regisseur die Gesichter der Kriminaler und des Gatten der Attentäterin wie im Kino auf eine Großleinwand projizieren lässt. Das freut zwar die Besucher in den hinteren Reihen der Münchner Kammerspiele, dass sie die Mimik und Gestik der handelnden Personen in Großformat sehen dürfen, aber zur Erhellung des Geschehens tragen diese Dauereinblendungen nicht viel bei, zumal die schauspielerischen Qualitäten der Mitglieder dieser Soko Tel Aviv nicht besonders ausgeprägt sind.

Da ist der dramaturgische Einfall des Regisseurs schon viel sinnvoller, die Selbstmordattentäterin (Mahin Sadri) sowohl live auftreten als auch über die Filmleinwand flimmern zu lassen, um in Rückblenden die Absichten ihres Attentats darzulegen. Als gebildete Frau aus gutem Hause schloss sie sich wegen der jahrzehntelangen Nichteinhaltung der UN-Resolution und der Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung durch die Politik Israels und den widerrechtlichen Bau israelischer Siedlungen in den palästinensischen Autonomiegebieten der palästinensischen Untergrundorganisation an. Und wenn nach manch trivialem Liebesgeplänkel zwischen Amin und seiner jüdischen Chirurgie-Kollegin (Maja Beckmann) und den viel zu lang geratenen Reminiszenzen eines jüdischen Einwanderers (Walter Hess) über die Gründung des Staates Israels im Jahre 1948 am Ende die Versöhnung zwischen den verfeindeten Lagern auf einer Party gefeiert wird, explodiert eine Rakete. Diesmal von Israelis abgefeuert. Tote auch hier. Ein neuer Anlass zur Eskalation der Gewalt.

Ein ehrenwertes, für Toleranz werbendes Theaterstück, das trotz des donnernden Schlussapplauses des Premierenpublikums allzu klischeehaft und blass geblieben ist. Schade.

Die nächsten Vorstellungen sind am 19. und 31. März. Kartentelefon: (089) 23 39 66 00.