München
Blut, Schweiß und Liebe

Shakespeares Tragödie "Romeo und Julia" in einer modernen Version im Münchner Volkstheater

16.10.2017 | Stand 02.12.2020, 17:21 Uhr

Foto: DK

München (DK) Dutzende von Illustrationen aus alten Zeiten und jeglichen Geschmacks vom berühmtesten Liebespaar der Weltliteratur auf dem Balkon des Palastes der Capulets in Verona rauschen anfangs über den Zwischenvorhang des Volkstheaters. Romeo und Julia schmachtend, sich umarmend, küssend und verzehrend in grenzenloser Liebe.

Mehr Kitsch als Kunst. Das Publikum lacht. Doch bald stockt den Zuschauern der Atem. Denn der hoffnungsvolle Nachwuchsregisseur Kieran Joel zündet daraufhin eine ebenso hochdramatisch-rabiate wie flippige Version dieses Dramas von den Capulet- und Montague-Kindern, die nicht zusammenkommen dürfen und deren Liebe sich erst im gemeinsamen Tod erfüllt.

Zwischen einem blutroten Vorhang, der wie in Varietéshows zwischen den Auftritten der Stars geöffnet und geschlossen wird, rasen und toben, kriechen und stolpern die Schauspielerinnen und Schauspieler über Treppen, Podesten und einen weit in den Zuschauerraum hinein ragenden Laufsteg (Bühnenbild: Jonathan Mertz). Schwitzend, keuchend, brüllend, kreischend. Der Schweiß tropft auf die Bretter, Blut spritzt, und die Fäuste fliegen. Und dies alles der Liebe wegen, der "Liiiebe", wie der hier zur Powerfrau mutierte Romeo-Freund Mercutio (großartig: Luise Kinner) als Vorahnung des tödlichen Endes schier verzweifelnd herausplärrt. Julia soll bekanntlich nach dem Willen ihres Vaters (Jakob Immervoll als autoritärer Kotzbrocken) den Grafen Paris, einen schmierigen Geschäftsfreund der Capulet-Sippschaft (Max Wagner als aufgeblasener Schnösel im kobaltblauen Anzug), ehelichen. Doch sie weigert sich voll Trotz und grenzenlosen Hasses, diese Liaison aus Gründen der Geschäftsbeziehungen einzugehen. Schließlich ist sie in Romeo, den Sprössling des verfeindeten Montague-Clans, verliebt. Unsterblich, alternativlos. Und so kommt es zum Showdown zwischen den beiden Familien und deren Anhängern, bei dem alle Tiermasken tragen: Mäuse bekriegen Affen, Ratten setzen den Wölfen zu und Eisbären greifen Löwen an, während harte Beatrhythmen (von Lenny Mockridge) diesen gespenstischen Auftritt als Video-Einspielung ebenso begleiten wie den realistisch-brutalen, kurz vor dem mit gegenseitigen Knochenbrüchen ausgetragenen Zweikampf zwischen Romeo und Tybalt. Der Capulet-Freund (Jonathan Müller) hat dabei das Nachsehen. Von Romeo (Silas Breiding als ebenso empfindsamer wie mit totalem Körpereinsatz agierender Sturm-und-Drang-Hero) wird er ermordet. Pater Lorenzo (Jonathan Hutter als intellektueller Sponti) vollzieht noch schnell und heimlich die Trauung. Dann muss Romeo fliehen.

Der Schluss ist bekannt: Julia ist dem Wahnsinn nahe, nachdem ihr die Amme (Nina Steils als gefühllose Domina) die Verbannung Romeos mitgeteilt hat. Ein letzter Liebesmonolog noch (von Carolin Hartmann ergreifend vorgetragen), dann schluckt sie einen Trank, der sie als tot erscheinen lässt. Romeo kehrt heimlich zurück, sieht sie auf der Treppe regungslos liegen, nimmt echtes Gift. Und als sie erwacht, folgt sie dem Geliebten in den Tod.

Den Kern von Shakespeares Tragödie hat der Regisseur in der neuen Übersetzung von Frank Günther durchaus beibehalten, einige Figuren jedoch zusammengelegt oder gestrichen, ein paar Szenen umgestellt und das Drama auf zwei fesselnde Stunden gestrafft. Köstlich, wenn die Protagonisten streckenweise höchst ironisch die voll Pathos und romantischer Gefühle triefende Fassung von August Wilhelm Schlegel aus dem 18. Jahrhundert rezitieren, um übergangslos in den heutigen Jugendslang zu wechseln, die Handlung auf den Zeitgeist trimmen und aktuelle Themen aus Politik und zwischenmenschlichen Katastrophen einbeziehen. Erfrischend ist das, und mit hochdramatischem Furor auf die Bretter des Volkstheaters gedonnert. Das Premierenpublikum jubelte.

Die nächsten Vorstellungen sind am 22. und 28. Oktober. Kartentelefon: (0 89) 52 34 65 5.