München
Bauten auf Zeit

Was Flüchtlingslager und die Wiesn miteinander zu tun haben

22.09.2017 | Stand 02.12.2020, 17:27 Uhr

"Wie dauerhaft muss Stadtplanung angelegt sein", fragt die Schau. Ein Beispiel ist das US-Truppenübungsgelände Tiefort City. - Foto: Sailer

München (DK) "Es gibt kein Baugesetz in Deutschland, das diese Zelte erlaubt - deshalb übernimmt der Münchner Oberbürgermeister die Verantwortung. Manchmal muss man eben außerhalb der Regeln bauen!" Der Architekturhistoriker Andreas Lepik kommentiert mit diesen Worten Fotos und Pläne für das Münchner Oktoberfest - wohl wissend, dass die verspielt-bunten Wiesn- Zelte in einem Zusammenhang stehen mit der Architektur von Märkten, Arbeitslagern, Flüchtlingscamps und Pilgerunterkünften, wie sie überall auf der Welt errichtet werden. "Beständigkeit ist Illusion", so Lepik, und deshalb widmet sich das Architekturmuseum der TU jenen Bauten, die nicht "für die Ewigkeit" errichtet werden. Titel der Schau in der Pinakothek der Moderne: "Does permanence matter? - Ephemeral Urbanism", oder auf Deutsch: "Wie dauerhaft sollte Stadtplanung angelegt sein"

Bauten für Feste, für Pilger und für Flüchtlinge werden nur begrenzte Zeit genutzt und danach wieder abgebaut. Das Griechische hat dafür das Wort "ephemer" - ein gelehrter Ausdruck für "flüchtig, nur kurze Zeit bestehend, rasch vorübergehend, ohne bleibende Bedeutung". In diesem Sinn werfen die Architekten, die diese Ausstellung kuratiert haben, einen neuen Blick auf die Aufgaben ihres Berufes. Denn ephemere Architektur muss Sicherheitsstandards erfüllen, muss praktischen Nutzen haben und soll in der Regel dennoch gewisse ästhetische Maßstäbe erfüllen.

Der indische Architekt Rahul Mehrotra, Professor an der Harvard-Universiät, hat mit seinem Kuratoren-Team als weltweit größtes Beispiel für ephemere Architektur die Siedlung für das hinduistische Fest Kumbh Mela auf Wandtafeln vorgestellt. Alle zwölf Jahre wird es 55 Tage lang gefeiert, und an einem gut besuchten Tag bevölkern 30 Millionen Menschen die Siedlung. Obwohl die Bauten aus Baumwolle, Plastik und Sperrholz zu einer endlosen Masse verschmelzen, sorgt eine intelligente Infrastruktur dafür, dass dies "die sauberste Stadt Indiens" ist, so Mehrotra. Zudem betreibt die Verwaltung das Theater, Krankenhäuser und Kantinen in dieser temporären Großstadt. Winzig klein dagegen ist die Hütte, die jüdische Männer überall auf der Welt für etwa zwei bis zehn Menschen errichten, wenn sie das "Laubhüttenfest" vorbereiten und feiern. Zwischen diesen Größenordnungen breitet die Ausstellung insgesamt 26 Beispiele aus, wo Menschen vorübergehend leben, feiern, Urlaub machen, Manöver abhalten, Handel treiben.

In Thailand etwa werden an Bahnschienen Marktstände aufgebaut, die ihre Marquisen einklappen müssen, wenn sich mit Hupen der Zug nähert. Die Filme dieses Spektakels zeigen Händler, Touristen und Zugreisende im Einklang - alle profitieren von diesem "Markt unter Schirmen". In Chile wurde 1915 ein Arbeitslager errichtet, wo Kupfer abgebaut wird - und Generationen wurden hier geboren, lebten und starben, obwohl die Stadt nur ein "Lager" sein sollte.

Die Beispiele für flüchtige Architekturformen sind vielfältig: Beduinen-Zeltlager in Jordanien, wo Touristen übernachten; Flüchtlingslager in München oder in Kenia; Zeltstädte in Saudi Arabien für die islamischen Hadsch-Pilger. Wer die Modelle, Fotos und Filme der Ausstellung studiert, dem fallen spontan noch weitere Beispiele ein, wie etwa die Architektur von Weltausstellungen, Pfadfinderlager oder Campingplätze mit Wohnmobilen. Gerade in Zeiten von Mobilität, Naturkatastrophen und weltweiten Migrationsströmen - das verdeutlicht diese Ausstellung - wird es die Aufgabe von Architekten sein, mit leichten, wandelbaren Bauten und mit einer flexiblen Infrastruktur schnell auf wechselnde Gegebenheiten zu reagieren.

Bis 18. März 2018 in der Münchner Pinakothek der Moderne, geöffnet täglich von 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr.