München
Amoklauf am Arbeitsplatz

Kampf im Großraumbüro: Deutsche Erstaufführung von Branden Jacobs-Jenkins' "Gloria" am Residenztheater

23.10.2017 | Stand 02.12.2020, 17:19 Uhr

Im Hamsterrad: Gunther Eckes (Devin), Lilith Häßle (Nan), Christian Erdt (Rashaad) am Münchner Residenztheater. - Foto: Meister

München (DK) So geht's also zu in den Newsrooms der erfolgreichen People-Zeitschriften: Miles, der Luschi vom Frühdienst (Christian Erdt), checkt am Computer schon mal die neuesten Nachrichten und organisiert für den Chef vom Dienst die Brotzeit. Die quirlige Volontärin Ani (Marina Blanke) hält als Redaktionsmaus den Betrieb mit ihrer erotischen Ausstrahlung und flotten Sprüchen aufrecht, während sich Kendra (Cynthia Micas) als ungemein selbstbewusste Redakteurin für Kulturelles (oder was sie darunter versteht) mit ihrer ewigen Quasselei über Mode und private Affären um Kopf und Kragen redet.

Alle sehen ihren Job nur als Sprungbrett für große Karrieren im Print-, TV- und Digital-Bereich an und gehen sich dabei gegenseitig ganz gewaltig auf die Nerven. Und klar auch, dass der Chef vom Dienst dieses Hochglanzmagazins (Gunther Eckes) als Workaholic ein widerlicher Kulitreiber und cholerischer Kotzbrocken ist, der nur eines im Auge hat: die Steigerung der Auflage durch triviale Storys. Kein Wunder, dass der Faktenchecker Lorin (Bijan Zamani) in seinem Kämmerchen neben dem (von der Bühnenbildnerin Maria-Alice Bahra) spartanisch eingerichteten Großraumbüro das Brüllen des Chefs höchst zuwider ist, zumal er seinen Job bei diesem banalen Journal eh megasatt hat.

Doch in den Zeiten, in denen aufstrebende junge Leute trotz solider Ausbildung nur mit Zeitverträgen abgespeist werden, muss man nicht nur flexibel sein, sondern ständig auch die Qualitäten eines Alphatiers an den Tag legen. Wer bei dieser Hamsterrad-Rallye nicht mitspielt, hat schon verloren. So wie die Titel gebende Gloria aus der Schlussredaktion (Lilith Häßle), die, wie ihre Kolleginnen und Kollegen ätzen, "nur Kommata verschiebt". Bei ihren Karrierewünschen ist sie daher übergangen und von psychischen Problemen ganz massiv heimgesucht worden. Aufgrund ihres Frustes über die enttäuschte Sehnsucht nach Anerkennung ihrer Arbeit erschießt sie in einer Wahnsinnstat drei ihrer Kollegen, um anschließend sich selbst zu töten. Nur ihren Chef hat sie bei diesem Amoklauf ausgespart. Warum gerade ihn als der von ihr am meisten Gehasste? Weil er abends zuvor als Einziger der gesamten Redaktionsmannschaft ihrer Essenseinladung gefolgt war.

Mit reichlich Klischees versehen verfasste der US-amerikanische Autor Branden Jacobs-Jenkins (Jahrgang 1984) dieses ach so authentische Dramolett aus der Welt des Journalismus, die anscheinend nur Paradiesvögel und kaputte Typen generiert. Doch diese allzu reißerische Psychostudie mit einigen Boulevardanklängen wäre eigentlich schon eine halbwegs kritische Auseinandersetzung mit der Arbeitswelt im 21. Jahrhundert, über Machtkämpfe und Mobbing in den Büros nicht nur von Zeitschriften, über die Bedeutung des menschlichen Klimas am Arbeitsplatz und über die Möglichkeiten und Grenzen des beruflichen Aufstiegs nicht nur im Journalismus. Aber der anscheinend in hollywoodesken Medienkrimis geschulte Autor setzte dieser Story aus dem Newsroom noch eins drauf: Die Geschichte von Glorias verzweifeltem Amoklauf muss schließlich vermarktet und nach allen Regeln des Kommerzes ausgeschlachtet werden. Eine Dokumentation in Buchform soll natürlich zum Bestseller avancieren, gefolgt von einer Film- und Fernsehproduktion, die diesem tragischen Geschehen als "reality show" nachspürt.

Dies wird im zweiten Teil dieser deutschen Erstaufführung nicht nur heftig und ausdauernd diskutiert, sondern als Spielfilm auch gleich in die Tat umgesetzt, bei dem die Schauspieler des ersten Teils nun in noch klischeehaftere Rollen schlüpfen müssen. Dies ist zwar nett anzusehen, wie etwa aus der erotisch-coolen Volontärin Ani die voller Neugier ganz zappelige TV-Regieassistentin wird, wie die zickige Kulturredakteurin Kendra zur taffen Filmproduzentin mutiert und die introvertierte Gloria nun die profitgeile Chefredakteurin Nan mimt. Aber dass die ansonsten so kritische Regisseurin Amélie Niermeyer diesen überflüssigen Schluss dieses Stückes auch noch als trivialen Soap-Nachschlag im Münchner Residenztheater inszenierte, darf schon verwundern.

Weitere Aufführungen: 27. Oktober und 3., 8. und 22. November. Kartentelefon: (0 89) 21 85 19 40.