München
Adler stürzt in die Nacht

Große Georg-Baselitz-Ausstellung im Haus der Kunst: "Damals, dazwischen und heute"

18.09.2014 | Stand 02.12.2020, 22:13 Uhr

München (DK) Es ist nicht so, als würde man das Werk von Georg Baselitz nicht kennen. „Das ist doch der, der alle Bilder auf den Kopf stellt“, sagen die einen. Die anderen analysieren seinen expressiven Malduktus, seine temperamentvolle Leichtigkeit, mit der er Farben und Formen auf die Leinwand wirft.

Neue Entdeckungen lassen sich nun in einer großen Ausstellung im Haus der Kunst machen, die explizit keine Retrospektive sein will, aber dennoch einen großen Bogen schlägt mit Bildern aus 50 Jahren.

Der im Mittelbau sichtbare Baselitz ist schwarz. Nicht nur, dass der Künstler zur Pressekonferenz in schwarzem Anzug und mit schwarzem Hut auftritt. Nein, er posiert auch vor schwarzer Kunst: vor riesigen, schwarz patinierten Bronzeskulpturen und vor Leinwänden, auf denen ein schwarzer Adler in die dunkle Nacht herabstürzt.

Die „Fingermalerei Adler“ von 1972 gehört zu den hoch geschätzten Baselitz-Werken im Besitz der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen – sie hängt jetzt im ersten Raum der Schau. Die Federn und Flügel des scheinbar vom Himmel fallenden Tieres verbinden sich so subtil mit den zerfaserten Wolken, dass ein berauschender Eindruck von Bewegung entsteht. Bei den neuen Bildern erfindet Baselitz diesen Adler neu. Er selbst erzählt, dass er alle Buntfarben mit Schwarz vermischt habe, und mit diesen „geschwärzten“ Farben malte er Adler um Adler auf riesige Leinwände, die jetzt den gesamten Mittelsaal einnehmen.

„Ich bin noch in der Lage, Experimente zu machen. Und die Kontrolle an der Wand zeigt: Es funktioniert!“ Kurator Ulrich Wilmes bestätigt: „Der Adler ist in das Bild hinein gemalt, Malgrund und Figur sind nicht mehr unterscheidbar!“ Es sind also keine übermalten Bilder nach der Art, wie Künstlerkollege Gerhard Richter mit Fotografien verfährt. Vielmehr malt Baselitz Tiere immer nach seiner Fantasie, und den Adler eben nach dem eigenen Vorbild von 1972. Daraus entstehen Nachtbilder, die erahnen lassen, wie dieser Sturz aussähe vor einem Auge, das keine Lichtquelle zur Verfügung hat.

Nicht nur beim Adler greift Baselitz auf Motive zurück, die er schon vor Jahrzehnten bearbeitet hat. Auch die „Helden“, die Doppelfigur und das Porträt nimmt er immer wieder als Thema auf. Gerade die jüngeren Bildnisse aber zeichnen sich aus durch eine Transparenz, in der die Figur fast aufgelöst erscheint auf weiß grundierter Leinwand.

Georg Baselitz wurde 1938 als Hans-Georg Kern in Deutschbaselitz bei Dresden geboren. Wegen „gesellschaftlicher Unreife“ wurde er von der Kunstakademie Ostberlin verwiesen, 1958 zog er nach Westberlin. Er hat also letztlich drei politische Strukturen in Deutschland erlebt: die Nazi-Zeit, die DDR und die BRD. So wird verständlich, warum er in seiner Skulptur „BDM Gruppe“ 2012 die Fotografie einer vermeintlich glücklichen Kindheit – seine Schwester mit zwei anderen Freundinnen im „Bund Deutscher Mädel“ – so thematisiert, dass die Frauengruppe ins Monumentale gesteigert wird. Nur in diesem Format kann die Bronzeplastik, die wie eine mit der Kettensäge aus Holz geschnittene Figur wirkt, sich in der Mittelhalle im Haus der Kunst behaupten: Die Plastik hat in etwa die Höhe der Türdurchgänge. Letztlich aber, so überrascht uns Baselitz, seien für seine Plastiken „die traditionellen Skulpturen der Kirche Vorbild gewesen“, wie er sie in seiner ersten Heimat gesehen habe. Der 76-jährige Maler hat sich seinen Platz in der Kunst nicht nur mit viel Disziplin erarbeitet, er weiß ihn auch zu behaupten – das führt diese Ausstellung vor Augen.