München
Leidenschaft für Straßenkunst

05.01.2017 | Stand 02.12.2020, 18:50 Uhr

Christian und Stephanie Utz sind die Gründer des Muca. Die Außenhülle gestaltete der Künstler Stohead (Mitte).

München (DK) MUC ist der Code, mit dem die International Air Transport Association den Flughafen München abkürzt. Als Stephanie und Christian Utz 2013 zunächst die Galerie Muca und nun ihr neues "Museum of Urban und Contemporary Art" - kurz: Muca - in der Hotterstraße gründeten, da war der Bezug zu diesem München-Code bewusst gewählt. "München ist für uns die Herzensstadt", sagt Stephanie Utz. Und deshalb steht das neue Museum für Urban und Street Art nicht in Berlin, London oder New York, sondern eben im Zentrum Münchens.

"Neu und wild" wurde das Haus schon betitelt. Aber Museumschefin Stephanie Utz winkt lachend ab: "So wild finden wir uns gar nicht." Vielleicht ein bisschen anders als andere Kunsttempel, denn: "Wir wollen keinen sterilen White Cube haben." Am Besuchstag ist sowieso alles Baustelle. Der Presslufthammer lärmt, es wird gehämmert und gebohrt, die Exponate sind hinter Plastikfolien verborgen. Zwar fand die Eröffnung schon statt, aber noch längst ist nicht alles perfekt. Die Ferien (noch bis 11. Januar) werden dazu genutzt, das Untergeschoss richtig zu erschließen. Der Gastrobereich soll Ende Februar eröffnen. Und auch die Ateliers für Künstler, die hier temporär arbeiten, sind noch nicht fertig. Aber selbst, wenn all das erledigt ist - "es wird nie ein gelecktes Museum werden", verspricht Stephanie Utz. Die Decke des ehemaligen Umspannwerks blieb unangetastet, bestimmte Bodenelemente sind original, und das Café wird einen Industrial-Design-Charakter bekommen. "Das passt zur Kunst."

Urban Art ist eine junge Kunstrichtung des 21. Jahrhunderts - und eigentlich Kunst, die im öffentlichen Raum stattfindet. Denn die ganze Stadt ist Leinwand: Graffiti an Fassaden - mit oder ohne Schablonen, geklebte Papiercollagen, verschiedene Spielarten moderner Kunstrichtungen. Urban Art ist rebellisch, innovativ, radikal, populär, sozialkritisch, wird inspiriert vom Ort, von der Architektur, ist Kommentar auf gesellschaftliche, politische oder städtebauliche Realität. Längst hat diese subversive Kunst den etablierten Markt erreicht. Für mehr als eine Million US-Dollar sind beispielsweise Banksys Arbeiten schon versteigert worden.

Aber gehört Straßenkunst in ein Museum? Stephanie Utz ist sich der Schwierigkeit des Unterfangens wohl bewusst. Aber sie begreift das Muca zum einen als eine Art Schutzraum, der die Lebensdauer der Werke verlängert, zum anderen als Experimentierraum, der den Künstlern größere Freiheiten schenkt - und vor allem legale Arbeitsflächen. So soll sich etwa die Hauswand gegenüber im Frühsommer in ein riesiges Kunstwerk verwandeln. Vor allem aber ist das Muca als Begegnungs- und Vermittlungsstätte gedacht. Hier kann man mit den Künstlern in Kontakt kommen. Geplant sind neben Kuratorenführungen und Vorträgen auch Lesungen, Poetry Slams oder Graffiti-Workshops.

Und eine der nächsten Ausstellungen soll sich mit dem Themenbereich Kalligrafie beschäftigen. Darin geht es um die Historie des Graffito, die Bewandtnis von Tags, also den Pseudonymen der "Writer", bis hin zur Bedeutung des geschriebenen Wortes in der digitalen Welt. Dann wird auch das Geheimnis gelüftet, was sich in dem Muster verbirgt, mit dem der renommierte Berliner Street-Art-Künstler Stohead die Außenhülle des Muca überzogen hat. "Es ist ein Wort in Mehrfachschleife, das es zu dechiffrieren gilt", verrät Stephanie Utz. "Das ist typisch für den Künstler: Er arbeitet oft mit einzelnen Schlagworten oder mit lyrischen Auszügen, aber meist nimmt man das nur als gestalterisches Element wahr."

Stohead selbst sagt: "Meine Kunst ist wie ein Tanz." Denn die großen Schriftzeichen an die Wand zu bringen, erfordert den kompletten Körpereinsatz. Stoheads Arbeit ist das größte Kunstwerk im (oder besser am) Muca, das kleinste ist eine Handzeichnung - nicht größer als ein Notizblock. Und was alles dazwischen liegt - in Bezug auf Größe, Bildträger, aber auch die verschiedensten Techniken und Ausprägungen der Urban Art -, soll das Ausstellungsjahr 2017 vermitteln. Das Spektrum wird von Installationen über Fotokunst bis zu klassischen Arbeiten von der Straße reichen. Und weil auch die Urban und Street Art eine sehr männerdominierte Welt ist, ist Mitte des Jahres eine Schau den "Women in Street Art" gewidmet.

Für die Eröffnungsschau hat sich der Londoner Künstler Dean Zeus Colman in seinem "Streetopoly" (Streetart + Monopoly = Streetopoly) auf spielerische Weise mit den komplexen Gesetzmäßigkeiten der Kunstwelt auseinandergesetzt. Im Zentrum der Schau ist sein überdimensionales Spielbrett mit 22 Feldern aufgebaut. Korrespondierend dazu werden 22 Werke der jeweiligen Künstler gezeigt. Insgesamt präsentiert die aktuelle Ausstellung etwa 40 Werke von Aiko und Banksy bis Rone und Swoon.

Wie kam eigentlich ihre Begeisterung für die Urban Art? "Mein Mann ist der Sammler, ich bin der Jäger", sagt Stephanie Utz. Und berichtet von vielen Reisen und Städten, die sie zu Fuß erkundet hat. Von Begegnungen mit Künstlern. Von Werkstattbesuchen. "Zu jedem Werk der Sammlung gibt es eine Geschichte." Im Muca werden sie alle erzählt.