Montreal
"Die Freundschaft ist gewachsen"

Mariss Jansons zeigt bei seiner umjubelten Nordamerika-Tournee, wie sehr er sich den BR-Symphonikern verbunden fühlt

28.04.2016 | Stand 02.12.2020, 19:53 Uhr

Montreal/Chicago (DK) Die Stimmung könnte besser nicht sein. Ein überaus positiver Geist ist in diesem Orchester zu verspüren. Wenn ein Klangkörper seit 13 Jahren mit demselben Chefdirigenten arbeitet, ist das ziemlich ungewöhnlich. Für diese auch menschlich einnehmende, höchst produktive Atmosphäre stehen Mariss Jansons und das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks (BR) - so auch jetzt auf ihrer großen Tournee durch Nordamerika.

Frisch und offen wirkte das Spiel der BR-Symphoniker in den USA und Kanada. Von Routine oder Selbstgefälligkeit war gar nichts zu spüren. Jansons selbst präsentierte sich ungewöhnlich gelassen und gelöst, gesundheitlich in Top-Form. Es scheint ihm gut zu bekommen, dass die Doppelbelastung als Chefdirigent beim BR in München und dem Concertgebouw-Orchester in Amsterdam vom Tisch ist.

"Das ist sehr viel Arbeit - ein großes Repertoire, das man studieren muss", bekennt er im Gespräch. "Mit den Jahren ist das schwierig." Jetzt steht allein die Arbeit beim BR im Fokus, mit erstaunlichem Ergebnis. Dabei schenkten nicht nur die Aufführungen der "Leningrader Sinfonie" von Dmitri Schostakowitsch im kanadischen Montreal und in Chicago bleibende Hörmomente. Besonders mustergültig wurde in Washington die 5. Sinfonie von Gustav Mahler durchdrungen.

Statt effekthascherisch auf Überwältigung zu setzen oder larmoyant auf die Tränendrüse zu drücken, wurden die klanglichen Architekturen glasklar seziert. Umso stilsicherer und vielfältiger kam das Innenleben von Mahlers Fünfter zu Gehör. Davon profitierte nicht zuletzt das berühmte und oft verhunzte Adagietto. Wo andere eine sentimentale Kitsch-Orgie zelebrieren, ließ es Jansons wohltuend fließen.

Es erwuchs eine Romanze auf das Leben, was nach den abgründigen ersten zwei Sätzen und dem bizarren, schattenhaften Scherzo umso mehr berührte. Zugleich war in den USA und Kanada ein Jansons zu erleben, der dem Orchester viel Vertrauen schenkte. Früher hat Jansons jedes noch so kleine Detail ausdirigiert, heute aber lässt er den Taktstock auch einmal ruhen. "Das Vertrauen ist über die Jahre gewachsen", bestätigt Bassist und Orchester-Vorstand Heinrich Braun.

"Jansons gibt die Führung gewissermaßen an uns zurück, weil eine Freundschaft gewachsen ist." Diese Stimmung prägte die Tournee, obwohl Gastspiele in den USA für Orchester immer komplizierter werden. Manche Bestimmungen sind ganz klar gegen die Klassik gerichtet, etwa die strengen Auslegungen des Artenschutzes. Es geht um geschützte Materialien wie Elfenbein, Perlmutt oder Edelhölzer, die im Instrumentenbau für Jahrhunderte die Norm waren.

Wer in die USA reist, benötigt nun eine Bescheinigung - selbst wenn alles in Ordnung ist. Das kann teuer und aufwendig werden, weshalb bei dieser Tournee erstmals alle Bögen zentral eingesammelt wurden. Für BR-Orchestermanager Nikolaus Pont ist das ein "Symptom unserer Zeit". "Es ist das politische Klima, das den internationalen Kulturaustausch schwieriger macht." Trotzdem ist für das Orchester die Präsenz in den USA wichtig. "Es gibt Orte in der Welt, da muss man spielen", sagt Jansons. "Unser Orchester muss weltberühmt sein, um sich international behaupten zu können. Das ist seine Aufgabe." Und die Reaktion des Publikums in den USA entschädigt für den Aufwand: Selbst beim großen Finale der BR-Tour in der Carnegie Hall gab es Standing Ovations. Für die gehetzten und coolen New Yorker ist das keineswegs gewöhnlich.

Im Symphony Center in Chicago wurden die Münchner hingegen von Riccardo Muti empfangen, und im Konzert schwenkte eine euphorische Besucherin die Deutschland-Flagge. "Ich bin zwar in Chicago geboren, aber meine Familie stammt aus Hof in Bayern", erklärte sie. "Für mich ist dieses Orchester ein Stück Heimat, einfach sexy!"