Ingolstadt
Lesevergnügen bis tief in die Nacht

Erste "Spätschicht" im Herzogskasten: Veranstaltungen für Jung und Alt und Bücherei-Service bis 22 Uhr locken zahlreiches Publikum an

30.04.2018 | Stand 23.09.2023, 3:05 Uhr
  −Foto: Fotos: Luff/Schaffer

Ingolstadt (DK) Marschieren.

Vier Kniebeugen. Joggen nach links. Watscheln wie Pinguine. Hoch den Popo. Gerade war noch Sportstunde an der Wintersteinschule bei Frau Bergmann. Jetzt gibt es eine kleine Bewegungseinheit im Dachgeschoss der Stadtbücherei. Bei Margit Auers Lesungen rührt sich was. Zur ersten "Spätschicht" im Rahmen der Literaturtage konnte Büchereileiterin Heike Marx-Teykal die Eichstätter Bestsellerautorin gewinnen. Klar, dass der Raum proppenvoll ist. Damit auch alle Kinder einen Platz bekamen, hatten einige Erwachsene ihre eigenen Karten zurückgegeben.

Ein "Best of" ihrer beliebten Reihe hatte die Autorin mitgebracht, erzählte von dieser besonderen Schule und dieser besonderen Lehrerin, deren Klasse ein Geheimnis birgt. Denn Miss Cornfields Schüler haben magische Tiere. Und während die Illustrationen aus den Büchern auf der Leinwand erscheinen, nennen die Kinder im Publikum ihre Namen: Da ist Rabatt, der Fuchs, und Pinkie, die Elster, da ist Pinguin Juri und Peperoni, das Pinselohrschwein. Und natürlich das Streifenhörnchen Leonardo.

Von der ersten Begegnung Mr. Morrisons mit Kater Karajan in Paris liest Margit Auer, von Yanniks Missgeschick im Basketballkorb und aus dem Ferienband mit Henry und Leander, der dieser Tage erscheinen soll: Dann geht es auf ein Spukschloss in Österreich. Dazwischen wird viel gefragt. Die Autorin setzt sich auf den Tisch, lässt die Beine baumeln und erzählt. Beispielsweise, dass sie für die Namen der Tiere lange Listen anlegt, dass sie etwa drei Monate an einem Buch schreibt, wie sie überhaupt auf die Idee zur Reihe gekommen ist und dass Eugenia ihr Lieblingstier ist. Mit der Fledermaus und ihrem charmanten Sprachfehler hatte nämlich alles angefangen.

Die anschließende Signierschlange ist lang. Viele Kinder haben ihre eigenen Bücher mitgebracht, manche erbetteln sich ein Buch von Mama oder Papa, andere holen sich Autogrammkarten. Längst hat da schon die Lesung von Stephan Knösel in der Jugendbücherei im Keller angefangen. Und während er sein Buch "Jackpot - wer träumt, verliert. " vorstellt, in dem es um vier Millionen Euro in einer Reisetasche und ein rätselhaftes Mädchen im Kofferraum geht, spielt das Quintett Jazz of Course in der Eingangshalle Jazzstandards.

Bis 22 Uhr dauert die erste "Spätschicht", die um 15 Uhr mit einer Lesung für die Kleinsten und einem "Löwe in der Bibliothek" begonnen hatte und mit einer Krimilesung enden wird. Programm für alle Altersgruppen hatten sich Organisatoren also ausgedacht. Vor, zwischen, nach und während den Lesungen kann ganz normal geschmökert und ausgeliehen werden. Und diesen Service nehmen immerhin 185 der insgesamt 409 Besucher in Anspruch. Die letzten Bücher werden tatsächlich gegen 22 Uhr zurückgegeben. Alle acht Mitarbeiter der Stadtbücherei hatten sich übrigens freiwillig zum Dienst gemeldet, berichtet Heike Marx-Teykal. Deren Fazit: Unbedingt wiederholen.

Gut besucht ist nämlich auch der finale Krimitermin um 20 Uhr. Denn Mord und Totschlag gibt es auch in der Region. Und eigentlich müssten sich Mike Morgenstern, Walter Braunagel und Charly Valentin auf den Fluren des Ingolstädter Polizeipräsidiums ständig über den Weg laufen - wenn sie nicht fiktiv wären. Richard Auer, Carmen Mayer und Thomas Peter erwecken diese körperlich nicht immer ganz fitten, aber messerscharf kombinierenden Ermittler in ihren Romanen zum Leben und lassen sie Fälle lösen, die manchmal beklemmend wirken, aber stets Lokalkolorit haben und auch Situationskomik offenbaren. Es menschelt bei den bodenständigen Kommissaren aus Eichstätt, Ingolstadt und Baar-Ebenhausen. Die spritzigen Dialoge mit ihren Kollegen, ihre unfreiwillig komischen Zeugenbefragungen und die zuweilen unorthodoxe Ermittlungsarbeit schaffen ein Gegengewicht zu den spannenden Momenten.

Richard Auer eröffnet den Reigen und liest zwei Szenen aus seinem Erstlingsroman "Vogelwild" sowie aus dem Krimi "Walpurgisöl". Wer Auer kennt, der weiß, dass er stets einen Requisitenkoffer bei sich hat, aus dem er Gegenstände zaubert, die mit den Fällen von Mike Morgenstern in Verbindung stehen. Im ersten Fall bekommt es sein Kommissar, der aus ungeklärten Umständen von Nürnberg nach Ingolstadt versetzt wurde, mit einem Mord zu tun, der im Zusammenhang mit dem weltberühmten Archäopteryx steht, im zweiten darf das Fläschchen Walpurgisöl nicht fehlen, an dessen wundertätige Kraft Morgenstern allerdings nicht so recht glauben mag.

Auer entscheidet sich für zwei Textstellen, die seinen Protagonisten nicht besonders souverän zeigen, aber zum Brüllen komisch sind: Zunächst fällt er während einer dreistündigen Fronleichnamsprozession bei unerträglicher Hitze in voller Polizeiuniform in Ohnmacht und anschließend kredenzt ihm eine resolute Zeugin ein selbst gekochtes Mahl aus Kartoffeln, Sauerkraut und Blutwurst mit lauwarmem Supermarktbier, das den toughen Kommissar am Ende im Stechschritt zur Toilette führt.

Carmen Mayers Ermittlerduo heißt Walter Braunagel und Maxi Wöhrl und muss in seinem fünften Fall den Tod eines Ingolstädter Drogendealers und Zuhälters aufklären. Als dann auch noch drei tote Säuglinge entdeckt werden, wird die Szenerie düster und führt die Kommissare an die Grenzen des noch Erträglichen. Die Wahl-Ingolstädterin Mayer liest ein längeres Stück aus ihrem Krimi "Kellerasseln" und sogleich stellt sich jene Beklemmung ein, die die Moderatorin Heike Marx-Teykal bei der Vorstellung der Autorin angekündigt hatte.

Kommissar Braunagel ist ein etwas schrulliger, aber liebenswerter Typ, der zu viel Bewegung hasst, zusammen mit seiner Kollegin aber die schwierigsten Fälle löst. Neben Krimis schreibt die Vollzeitautorin auch historische Romane und mundartliche Theaterstücke.

Am Ende des Krimiabends betritt dann ein waschechter Kriminalbeamter die Bühne: Thomas Peter arbeitet seit Jahrzehnten bei der Ingolstädter Kripo und kennt die akribische Ermittlungsarbeit bayerischer Kommissare aus erster Hand. Für seine Romane verwendet er freilich keine realen Fälle, sondern erfindet diese und siedelt sie mitten in Ingolstadt an. Aus seinem vierten Krimi "Zwölfuhrläuten" bietet er mehrere Kostproben in bairischer Diktion dar und erschüttert damit das Zwerchfell seiner Zuhörer. Denn wenn Charly Valentin und sein Team im Fall des ermordeten Exkollegen Hans Strohmeier ermitteln, dann bleibt kein Auge trocken.

Die mysteriösen Umstände seines Todes - er starb mit dem Kopf auf dem Weißwurstteller kurz vor dem Zwölfuhrläuten - führen die Kommissare auf den Ingolstädter Pfeifturm, den Valentin wegen seiner Höhenangst kaum erklimmen kann, und in mindestens 20 Ingolstädter Metzgereien, deren Weißwürste von freiwilligen Polizeibeamten in einem fragwürdigen Selbstversuch untersucht und verzehrt werden müssen. Fast poetisch mutet schließlich die Szene an, in der Valentin am Ende eines langen Tages durstig durch die Fußgängerszene schlendert und fasziniert das Sonnenlicht beobachtet, das sich golden im Glas eines frisch eingeschenkten Weißbiers bricht.

Die drei Kurzlesungen standen unter dem Motto "Spannung hoch drei" und erfüllten die Erwartungen des Publikums in jeder Hinsicht.

Robert Luff, Anja Witzke