Leipzig
Vi komprenas Esperanton?

Vom idealistischen Projekt zur vollwertigen Sprache: Die Plansprache Esperanto wird 125 Jahre alt

19.11.2012 | Stand 03.12.2020, 0:48 Uhr

Die Bayerische Staatsbibliothek besitzt auch eine Ausgabe des Buchs „Internationale Sprache“ aus dem Jahr 1887 - Foto: Barth/dapd

Leipzig (dapd) Vor 125 Jahren erfand Ludwik Zamenhof (1859–1917) eine Sprache, mit der er die Welt verändern wollte: Esperanto sollte es allen Menschen ermöglichen, ohne Sprachbarrieren miteinander zu kommunizieren. Ganz geschafft hat Zamenhof das nicht. Inzwischen hat sich Esperanto aber tatsächlich von einem theoretischen Konstrukt zu einer lebendigen Sprache entwickelt. Hanna Hauck sprach darüber mit der Vorsitzenden der Gesellschaft für Interlinguistik (GIL), der Anglistin Sabine Fiedler von der Universität Leipzig. Die GIL beschäftigt sich mit Plansprachen wie dem Esperanto.

Was genau ist denn eine Plansprache?

Sabine Fiedler: 1931 hat Eugen Wüster eine Plansprache als eine von einer Personengruppe oder einer Einzelperson nach bestimmten Kriterien bewusst geschaffene Sprache definiert, die die Aufgabe hat, die internationale Kommunikation zu vereinfachen.

Wie unterscheidet sie sich von anderen Sprachen?

Fiedler: Die anderen Sprachen sind entstanden mit einer Ethnie, also als Volkssprache, während eine Plansprache am Schreibtisch geschaffen wird. Sie wird bewusst kreiert. Das bedeutet, dass sie eigentlich erstmal nur als Projekt entsteht. Ich bin der Überzeugung, dass man eine Sprache nicht wirklich schaffen oder erfinden kann. Sie muss sich dann in der Realität als Sprache erweisen. Das Esperanto hat als einzige Plansprache diesen Weg vom Projekt zur voll funktionierenden Sprache geschafft.

Ohne Sprecher also keine Sprache. Aber warum hat sich ausgerechnet Esperanto als einzige Plansprache zur vollwertigen Sprache entwickelt?

Fiedler: Es ist sicherlich eine Kombination von mehreren Aspekten. Einmal hat es sprachstrukturelle Gründe. Wir haben lateinische Buchstaben und eine einfache Laut- und Morphemstruktur. Man spricht im Esperanto so wie man es schreibt. Das ist im Französischen und Englischen nicht so. Außerdem wird beim Esperanto die Bedeutung der einzelnen Wörter zusammengesetzt aus Morphemen – also Vor- und Nachsilben.

Das klingt so ein bisschen nach einem Baukastenprinzip.

Fiedler: Ja, das kann man durchaus sagen. Nur darf man sich das nicht zu technisch vorstellen. Also wenn ich jetzt das Wort Schule nehme, lernejo, das kommt von dem Wort lerni – und ejo ist der Ort. Das heißt also wirklich Lernort. Das ist dem Sprecher aber nicht mehr so bewusst. Das Wort bedeutet für ihn einfach: Schule.

Aus welcher Motivation heraus ist Esperanto entstanden? Der Erfinder Zamenhof war ja eigentlich Augenarzt.

Fiedler: Das hängt mit seiner Kindheit zusammen. Zamenhof ist in Bialystok aufgewachsen, das liegt heute in Polen und war damals zaristisches Russland. Dort gab es eine sehr breit gefächerte Bevölkerung, was die Ethnien und Sprachen anbelangt. Zamenhof selbst ist auch Zeuge von Pogromen gegen Juden geworden. Schon als junger Mensch hat ihn der Gedanke beschäftigt: Man müsste die Menschen einigen, durch eine einigende Sprache.

Wie viele Menschen sprechen derzeit weltweit Esperanto?

Fiedler: Das ist schwer zu sagen, weil man nur die Menschen zählen könnte, die sich irgendwo organisieren. Aber das ist auch problematisch, weil es ja immer Anfänger und sehr gute Sprecher gibt. Wahrscheinlich liegt die Zahl zwischen 500 000 und mehreren Millionen Sprechern.

Gibt es inzwischen auch Muttersprachler?

Fiedler: Es gibt eine Organisation der Muttersprachler des Esperanto, die hat an die 350 Mitglieder. Das sind einerseits internationale Familien, bei denen sich die Partner über das Esperanto kennengelernt haben. Da sprechen dann etwa ein Litauer und eine Französin in den ersten Jahren ihres Familienlebens weiter Esperanto und bringen ihrem Kind die Sprache bei. Anders als bei ethnischen Sprachen bestimmen die Muttersprachler im Esperanto aber nicht die Norm.

Das Esperanto hat es also geschafft, von einem Projekt zur „richtigen“ Sprache zu werden. Trotzdem hat sich Englisch als internationale Zweitsprache durchgesetzt. Woran liegt das?

Fiedler: Eine Sprache wird ja nicht zur Weltsprache, weil sie angeblich leicht ist oder schön klingt. Eine Sprache wird bedeutsam, weil eine Nation, die die Sprache spricht, bedeutsam ist. Das lässt sich bei allen Herrschaftssprachen der Vergangenheit nachweisen. Sprachfragen haben immer mit Machtfragen zu tun. Heute ist es das Englische, als Sprache der Kolonialmacht Großbritannien, und es ist die Sprache, hinter der heute die wirtschaftliche Macht der USA steht. Das Esperanto hat diesbezüglich natürlich keine Trägergemeinschaft, die so stark ist, dass es da eine Rolle spielen könnte.