Kunst des Vergänglichen

Im Rahmen der Künstlerinnentage zeigt Sieglinde Bottesch ihre Werke im Ingolstädter Exerzierhaus

07.10.2015 | Stand 02.12.2020, 20:43 Uhr

Im „Quell“ von Sieglinde Bottesch spiegelt sich das Licht, verschwindet in seinen Tiefen, spielt mit diesen - Foto: Hammerl

Ingolstadt (DK) Leise schwingt ein Dutzend schmal-ovaler Schalen im Luftzug und verströmt ein Gefühl von Geborgenheit, Zufriedenheit und Ausgeglichenheit. „Aufgehoben“ nennt Sieglinde Bottesch ihr ausdehnungsmäßig größtes Exponat im Exerzierhaus.

Archaisch wirken die Installationen. Sie strahlen in den Raum hinein und wirken auf ihn – und der Raum auf sie. Der Ursprung der Ausstellung „Da-Sein“ im Rahmen der 21. Ingolstädter Künstlerinnentage „Der Oktober ist eine Frau“ ist, wie könnte es anders sein, der „Eisprung“. Nicht der mächtige, mehr als drei Meter lange und 1,6 Meter hohe Stier, ein Symbol unbändiger Lebenskraft, das Schwergewicht der in ihrer scheinbaren Schlichtheit stark berührenden Ausstellung. Sondern ein weitaus unauffälligeres, lediglich 17 mal 19 mal 20 Zentimeter großes Gipsexponat, das an eine Eichel erinnert, die sich aus ihrer Hülle löst. Nur, dass sie nicht oval und hellgrün, sondern kugelrund und weiß ist. „Eisprung, Quelle und Schlummer waren schon da, bevor die Idee zur Ausstellung da war“, verrät die Künstlerin. „Schlummer“ besitzt für den Betrachter die Form eines Nackenstützkissens. Entstanden ist das polierte Gipsobjekt jedoch, nachdem Bottesch einen Egerling in ihrem Balkonkasten gefunden hatte, der auf ihrer wärmenden Hand plötzlich zu pulsierendem Leben erwachte. Das Leben erwacht, und es vergeht. Selten wird das Vergehen so ästhetisch schön, ohne Leid und Schmerz dargestellt wie es der 76-jährigen Ingolstädter Künstlerin in „Da-Sein“ gelingt.

„Hülsen“, leer, mit zerfransten Rändern, hängen an der Wand. Leer, aber nicht trostlos, denn was sie einst umhüllten, ist seinen eigenen Weg gegangen, trägt das Leben weiter. Das tut auch der Stier. Ob die 22 Kälbchen aus gewachstem Chinapapier der Installation „Verlangen“ sein Nachwuchs sind? Gut möglich. Durchscheinend, zerbrechlich jedes für sich, gemeinsam aber eine markante Erscheinung, weisen auch sie dezent auf das Vergängliche hin, das mit „Gleichnis“ seinen Höhepunkt erlebt. Hier wird nicht mehr lediglich angedeutet, in diesem Werk, dessen eine Längshälfte aus auf dem Boden übereinandergestapelten halbierten Rinderhäuten – wieder aus Chinapapier – zur anderen aus Gras in spiegelbildlicher Silhouette besteht.

Ohne Vergehen kein neues Leben. Das sprießt überall, bricht sich Bahn, in den „Sprösslingen“, dem „Chorus“, selbst in den eigentlich garstigen „Auswüchsen“, die dennoch von eigentümlicher Faszination sind. Oder in „Frieda“, einer Hommage an die Ziege ihrer Großmutter. „Ich habe immer mit meiner Schwester gestritten, wer Frieda melken durfte“, erzählt Bottesch.

Unaufdringlich, fast schon poetisch wirken die Exponate in ihren klaren Formen und schlichter Farbgebung, die von weiß über eierschalenfarben bis zu gedeckten Braun- und Grüntönen reicht. Eine wunderbare Einheit von Formenkanon, Farben und Oberflächenstruktur. Letztere trägt Spuren der Hände der Künstlerin. Keine laute, dafür eine umso berührendere Ausstellung.

Die Ausstellung „Da-Sein“ ist bis Sonntag, 18. Oktober, im Exerzierhaus im Klenzepark zu sehen, geöffnet Donnerstag bis Sonntag von 11 bis 18 Uhr. Eine Führung mit der Künstlerin findet am Sonntag, 11. Oktober, um 11 Uhr statt.