Kiel
Menschen in Grenzsituationen

Der "Tatort" aus Kiel hat eine enorme Wucht

16.06.2017 | Stand 02.12.2020, 17:56 Uhr

Kiel (DK) Wer eine klassische Tätersuche erwartet, der wird enttäuscht. Schnell kennt man den Täter, wird Zeuge einer persönlichen Tragödie, folgt der blutigen Spur eines letzten Aufbäumens. Ein Krimi ist der "Tatort: Borowski und das Fest des Nordens" eher nicht.

Regisseur Jan Bonny ("Über Barbarossaplatz") sieht den Krimi als komische Verkleinerungs-form: "Was ich mache, sind dramatische Polizeifilme mit Figuren, die sich in existenziellen Grenzsituationen befinden und die immer auch zwei Seiten haben."

Dieser Roman Eggers, beängstigend stark und intensiv gespielt von Misel Maticevic, ist so eine Figur. Keinen Job, keine Wohnung, verschuldet, geschieden, die Kinder darf er nicht sehen. Er ist verzweifelt und reißt andere mit in den Abgrund. Nach einem Gerangel erschlägt er eine Frau, die sich ihm in die Arme wirft und davon redet, dass sie ihm Geld besorgt hat.

Für Borowski (Axel Milberg) und Sarah Brandt (Sibel Kekilli) ist der Fall ein Rätsel. Der Kommissar vermutet: "Sie hat ihn genervt". Diese Ansicht wiederum nervt seine Kollegin, die in der Tat einzig ein brutales Verbrechen sieht und glaubt, dass der Täter weiter morden wird. Schon bald begeht Eggers eine weitere Verzweiflungstat, prügelt einen Dealer zu Tode - das nächste Opfer. Kurz darauf rettet er aber dann Borowski das Leben.

Die Kieler Woche, das größte Volksfest des Nordens, bildet die kontrastreiche Kulisse zu diesem Fall. Und die ist auch schuld, dass der neue "Tatort" aus Kiel manche Irritationen beim Zuschauer auslösen wird. Warum ist Borowski so neben der Spur, trinkt und haust in einer leeren Wohnung? Ursache ist, dass dieser Krimi chronologisch eigentlich da ansetzt, wo "Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes" (lief bereits Ende 2015) endete. Danach wurden zwei andere Kiel-Episoden aus Aktualitätsgründen vorgezogen, dieser Fall musste warten bis jetzt wieder Kieler Woche ist (17. bis 25. Juni).

Ein wenig schade, denn die Story, die der renommierte Drehbuch-Autor Markus Busch nach einer Vorlage von Henning Mankell (bereits die dritte für einen Borowski-"Tatort") da entworfen hat, ist von enormer Wucht und hat requiemhafte Züge. Regisseur Jan Bonny, ein Meister der zerrissen-analytisch-tiefgehenden Art, inszeniert diese Tragödie sehr rau, sehr physisch, sehr intensiv und auch konsequent brutal. Seine Figuren sind nie eindeutig, eher rätselhaft. Manches wirkt sprunghaft, nicht alles wird erklärt, das ist sein Markenzeichen. Die Handkamera macht den Film unruhig, die Bilder sind ungeschönt, es ist ein deutscher Dogma-Stil, der sicher die Geister des großen Tatort-Publikums scheiden wird.

In diesem Krimi nimmt übrigens Sarah Brandt Abschied. Der wird im Film aber nicht thematisiert. "Ich habe mich bewusst gegen einen Ab-schluss-"Tatort" entschieden, man muss eine Geschichte nicht immer auserzählen und durch die beiden letzten Kieler "Tatorte" wird Sarah Brandt doch einigen in guter Erinnerung bleiben. In jedem Falle bleibt sie das für mich und ich kann ihr guten Gewissens Lebewohl sagen", sagt Sibel Kekilli nach sieben Jahren als TV-Kommissarin.