Ingolstadt
Todesangst in Noten

23.03.2015 | Stand 02.12.2020, 21:30 Uhr

Konzert in Moll: La Banda und der Motettenchor unter der Leitung von Eva-Maria Atzerodt - Foto: Schaffer

Ingolstadt (DK) Eigentlich haben sie nichts miteinander zu tun: die „Nelson Messe“ (aus dem Jahr 1798) von Joseph Haydn und das „Requiem“ (1791) von Wolfgang Amadeus Mozart. Und doch fallen erstaunliche Parallelen auf, wenn beide Werke an einem Abend erklingen, wie es jetzt geschehen ist beim Konzert des Ingolstädter Motettenchors unter der Leitung von Eva-Maria Atzerodt.

Immerhin irgendwie mysteriös sind beide Stücke. Das „Requiem“, weil nie genau geklärt wurde, wie groß der Anteil Mozarts an dem düsteren Werk ist und wo seine Schüler eingegriffen haben. Und geheimnisvoll ist die „Nelson Messe“ vor allem, weil unklar ist, warum Haydn in seiner einzigen Messe in einer Molltonart eine so düstere Tonsprache gewählt hat. Eine Anspielung auf den Sieg des britischen Admirals Nelson im August 1798 bei Abukir gegen Napoleon kann allerdings – anders als man lange geglaubt hat – keine Rolle gespielt haben. Denn die Nachricht von der Seeschlacht drang erst nach Vollendung der Messe nach Wien. Die „Missa in angustiis“, die Messe in Bedrängnis, wie sie eigentlich heißt, muss also auf Anderes anspielen, möglicherweise generell auf die napoleonischen Kriege.

Jedenfalls zwei schwermütige Werke hat Eva-Maria Atzerodt aufs Programm gesetzt, Kirchenmusik, die im Abstand von nur sieben Jahren komponiert wurde. Und verblüffend ähnlich klingt. In beiden Fällen ein dramatischer Tonfall, von Pauken und Trompeten getragen, tragisch wirbelnde Chorpassagen unterbrochen von lichten, hoffnungsvollen Zwischenpassagen. Bei Mozart ein Ringen zwischen Todesangst und Erlösungshoffnung, bei Haydn könnte man fast kriegerische Töne vermuten.

Eva-Maria Atzerodt hat erneut das hervorragende Originalklang-Ensemble La Banda engagiert. Eine Entscheidung, die den gesamten Charakter der Aufführung prägte. Denn die Ingolstädter Dirigentin hat sich damit bewusst in die Tradition bedeutender neuerer Deutungen etwa von Nikolaus Harnoncourt gestellt. Bereits in den sieben orchestralen Eingangstakten des „Requiems“ wird das deutlich. Hier klang nichts vordergründig undeutlich. Vielmehr entstand ein rauer, fast kratziger Klang, voller abgehackter Töne, über die sich die lang gezogenen Klarinettentöne umso trauriger erhoben. La Banda produziert einen ausgesprochen kernigen Orchesterklang, der niemals auf philharmonischen Seidenglanz poliert war. Die Verzweiflungsausbrüche kamen so noch heftiger, noch kälter daher, als man es sonst gewohnt ist, die Blechbläser fast schon schrill, die Streicher wirken wie gefroren. Mozart in der Eiszeit.

Und auch der riesige Motettenchor agiert ausgesprochen reaktionsschnell, kristallin, wendig und heftig – etwa beim dramatischen „Kyrie“ – auch und gerade in den fast flüsternd vorgetragenen Pianopassagen. Das „dies irae“ ließ einen fast das Blut in den Adern gefrieren, bei „rex tremendae“ kamen die Choreinsätze mit fast schon brutaler Wucht. Aber fast noch berührender waren dann die lang gezogenen, aufblühenden Kantilenen etwa im „Lacrimosa“. Jede hervorragende Aufführung eines Musikstücks ist das Resultat einer optimalen Mixtur der beteiligten Künstler. Beim Mozart-Requiem passten auch die vier Solisten vorzüglich zum Stil des Orchesters und des Chores. Alle sangen sie ihre Partien mit eher instrumentaler Noblesse, oft fast ohne Vibrato. Besonders fiel hier die Sopranistin Gerlinde Sämann auf, während Ulrike Malotta (Alt) mit etwas mehr Wärme ihre Partie anging. Robert Sellier verfügt über einen sehr weichen, eher kleinen, sehr tonschönen Tenor, während der Bassbariton Andreas Burkhart weniger durch fülliges Tiefenvolumen als durch fein abgestimmte, balsamisch schöne Melodiebögen überzeugte.

Der gleiche Klang, die gleiche Aggressivität wie beim Mozart auch bei Haydns Messe. Keine weihevolle Musikandacht, kein Bad im Elend präsentierte Eva-Maria Atzerodt da, sondern ein harmonisch abgezirkeltes, immer genau strukturiertes, ergreifendes Musikerlebnis. Am eindringlichsten vielleicht das erst so lieblich beginnende „Benedictus“, mit seinen nach einer kunstvollen Generalpause so bedrohlichen Trompetenfanfaren und dem wieder fast schon heiter-dramatischen Ausklang des Satzes. In wenigen Minuten erlebte man die gesamte Ausdruckspalette der Klassik zwischen heiterer Volkstümlichkeit und Tragödie.

Ein grandioser Abend, bei dem am Ende das Publikum die Künstler mit Bravos und lang anhaltendem Beifall feierten.