Ingolstadt
Ende einer Kulturinstitution

Ingolstädter Kleinkunstbühne Neue Welt schließt 2016 – Veranstalter Walter Haber hört auf

25.02.2015 | Stand 02.12.2020, 21:37 Uhr

Will sich anderen Projekten zuwenden: Walter Haber - Foto:bfr

Ingolstadt (DK) Die Spatzen pfeifen es von Ingolstadts Dächern, deutlicher noch haben es Künstler wie Rolf Miller – vor Kurzem im Festsaal des Stadttheaters – und Sarah Hakenberg in der Neuen Welt dem Publikum mitgeteilt: Walter (Woidl) Haber wird in der Neuen Welt aufhören. Die Kleinkunstbühne in der Griesbadgasse 7, die sich in den vergangenen 32 Jahren zu der Top-Adresse der Ingolstädter Kabaretttage, der Bluestage, der Auftritte von Folksängern und Folksängerinnen unter anderem aus den USA und als Spielort der Ingolstädter Künstlerinnentage zum Aushängeschild der Stadt Ingolstadt entwickelt hat, wird schließen.

„Irgendwann hört alles auf“, sagt Haber. „Allerdings hat es uns niemand glauben wollen, wenn wir davon gesprochen haben.“ Mit „wir“ ist sein Partner in der Gastronomie, Josef (Josi) Jauernig, gemeint. Am 1. Juli 2016 soll das Ende der erst im Jahr 2008 komplett modernisierten und renovierten Bühne eingeläutet werden. Begonnen hatte alles am 3. Oktober 1983 mit dem Auftritt von Rudi Trögl & Sundown.

Ist es das Ende einer Kulturinstitution? „Wenn sich nicht in den kommenden Monaten jemand findet, der es weiterführt“, sagt Haber. Denn natürlich wünscht er sich, dass es weitergeht, wäre er bereit, einen Nachfolger einzuarbeiten.

Das Feld ist gut bestellt: Das zeigt allein die Auslastung der diesjährigen Kabaretttage, bei denen es mehr als einmal „ausverkauft“ heißt, bei einigen Kabarettisten wie Stefan Waghubinger mit seinem neuen Programm „Außergewöhnliche Belastungen“ sogar an beiden Abenden. Und: „Die Bluestage hatten im vergangenen Jahr, nach 26 Jahren, einen Boom bei den Besucherzahlen.“

„Wenn wir 2016 aufhören, dann werden wir in 33 Jahren mehr als 3000 Veranstaltungen mit gut 250 000 Besuchern in der Neuen Welt gehabt haben“, zieht Walter Haber eine erste Bilanz. Denn es fehlen in dieser Rechnung noch die endgültigen Zahlen der Saison 2015/2016.

Warum also aufhören? Es ist ein Bündel an Gründen, die nur zum Teil im Alter der beiden begründet sind – Walter Haber ist Jahrgang 1951, Josef Jauernig 1952. Da überlege man schon, ob es ewig so weitergehen kann, wann der beste Zeitpunkt ist, sich zu konzentrieren auf die eigenen Interessen und auf die Familien – „die sind vernachlässigt worden. Urlaub, Familienfeiern mussten oft hintanstehen“.

Es war und ist mehr als ein 100-Prozent-Job. Denn auch wenn Walter Haber Unterstützung durch die Ehrenamtlichen des von ihm Ende der 1970er Jahre mitgegründeten Vereins Förderband Musikinitiative erhielt und erhält: Haber entwickelt die Programme allein, bucht und organisiert – „einmal sogar einen Hundesitter“ – und betreut die Künstler am Tag ihres Auftritts. Gerade die jungen Künstler reisen oft ohne Begleitung von Auftritt zu Auftritt, sind froh, wenn sie jemanden haben, dem sie auch mal Privates anvertrauen können. „Ich habe da schon viele traurige Geschichten gehört, und trotzdem waren die Künstler am Abend in der Neuen Welt voll präsent.“ Oder vielleicht gerade deshalb?

Die Kleinkunstbühne hat zudem eine besondere Atmosphäre, sitzt doch das Publikum an der nur wenig erhöhten Bühne im direkten Kontakt mit den Künstlern – der Saal bietet nur gut 100 Plätze. Bei Veranstaltungen läuft der Gastronomie-Betrieb weiter. Echte Wirtshaus-Kultur eben. Mit garantiertem Niveau. Das spricht sich herum.

So kamen bereits 1984 das Häns’sche Weiss Ensemble, Ottfried Fischer zusammen mit Jockel Tschiersch. Ein Jahr später waren die Mehlprimeln zu Gast, und hatte der junge Chris Boettcher mit Band einen Auftritt. Der Bayerische Rundfunk schnitt das Konzert des Heinz-Sauer-Quartetts mit, Willy Michl, Gabi Lodermeier und Martin Carthy gaben sich ein Stelldichein. 1986 waren Bernd Regenauer und Willy Astor zu erleben, 1989 Hans Söllner, 1991 Michael Mittermaier. Die Liste lässt sich vervollständigen.

Schnell füllte sich der Terminkalender, entwickelten sich die Kulturreihen. Und das, obwohl das „Vernetzen“ vor 30 Jahren noch ohne E-Mail und Internet ablief: „Ich bin aufs Hauptpostamt und habe Adressen gesucht, Briefe geschrieben, telefoniert“, sagt Haber und schmunzelt. „Die Verträge kamen per Fax, auf Thermopapier, das schnell nicht mehr lesbar war, so dass ich alles kopiert habe.“ Noch heute hat er Briefe von Künstlern wie Stephan Remmler von der Gruppe Trio. „Walter Haber ist einfach ein Phänomen. Er hat ein Gespür für Kultur und die Künstler“, sagt Kerstin Lau vom Verein Förderband Musikinitiative.

Der Erfolg ist hart erarbeitet, zumal beide, Haber wie sein Gastronomie-Partner Jauernig, mit der Kleinkunstbühne ihren Lebensunterhalt verdienen. Zwar unterstützt das Kulturreferat Ingolstadt die Bühne, doch das reicht nicht immer. Wenn Habers Mut, junge Künstler zu fördern oder in Ingolstadt noch unbekanntere Namen anzukündigen, nicht die Kosten deckte, dann glich die Gastronomie den Kulturbereich aus. Das kostet Nerven. Und: „Walter ist im positiven Sinn ein Veranstaltungs-Junkie“, sagt Jauernig. Auch jetzt, während der dicht gedrängten Termine der laufenden Kabaretttage bucht Haber schon die nächste Saison. „Ich halte mir aber bewusst ein paar Termine frei, weil einige Künstler, die eigentlich in großen Sälen auftreten, zum Abschied unbedingt noch in die Neue Welt wollen.“ Natürlich wird es eine Abschieds-Gala geben: am 2. Oktober 2016 im Festsaal des Stadttheaters. Und dann? Walter Haber wird als Veranstalter, wohl „aber nur für große Säle“, weitermachen, vielleicht auch den einen oder anderen Künstler betreuen. Jauernig sich mehr seinem Weinhandel widmen.

Und Ingolstadt? Verliert die Stadt damit wichtige kulturelle Reihen und die bekannte Kleinkunstbühne? Wird Ingolstadt womöglich hinter Städten wie Eichstätt mit der Kleinkunstbühne Zum Gutmann zurückstehen oder hinter der Kleinkunstbühne Unterpindhart, wo der Hallertauer Kleinkunstpreis verliehen wird? Für Kulturreferent Gabriel Engert steht fest: „Das wäre ein herber Verlust. Wir werden uns bemühen, helfend zur Seite zu stehen, damit die renommierten Kabaretttage weitergehen“, sagte Engert auf Anfrage gegenüber unserer Zeitung. Für Anfang März wurde jetzt kurzfristig ein Gespräch im Kulturamt mit Walter Haber anberaumt.