Ingolstadt
Zwischen den Welten

Simon Mayrs in Ingolstadt gefeierte Oper "Demetrio" ist weder barock noch klassisch oder romantisch

11.05.2012 | Stand 03.12.2020, 1:30 Uhr

Konzertantes Drama: Der Argentinier Facundo Agudin dirigiert „Demetrio“, links stehen Monika Mych und Piotr Friebe - Foto: Strisch

Ingolstadt (DK) Regie kann nerven. Natürlich sind Opern für die Theaterbühne gedacht, das Szenische gehört einfach dazu. Aber man kann an diesen Qualitäten auch zweifeln. So war es, als Simon Mayrs letzte Oper „Demetrio“ vor einem Jahr im Schweizer Moutier zum ersten Mal seit bald 200 Jahren wieder auf die Bühne gebracht wurde – auf unbeholfenem Schultheater-Niveau.

Und auch kürzlich in Posen schien (nach allem, was man hört) die Regie eher Schaden angerichtet zu haben.

Nun: In Ingolstadt musste man sich jetzt keine Gedanken über ratlos im Bühnenbild herumstehende Darsteller, hässliche Kostüme, sinnfreies Dekor und konfuse Regiekonzepte machen. „Demetrio“ wurde als Gastspiel aus Posen konzertant im Festsaals des Stadttheaters Ingolstadt aufgeführt – was für eine Erleichterung!

Und schnell erwies sich: Das Stück funktioniert auch in der reinen Hörfassung. Wieder zeigte sich, was für eine inspirierte, melodienselige Musik Simon Mayr schreiben konnte, der vielleicht nur deshalb der ganz große Erfolg versagt blieb, weil sie sich stilistisch in einer Art Niemandsland befindet. Fast bei keinem anderen Mayr-Stück wird so deutlich, dass Mayr ein Mann des Übergangs ist. Seine Oper klingt vorromantisch, erinnert mehr an Rossini, Bellini und Donizetti als an Mozart und Haydn, ist aber formal eine altmodische Opera seria, eine Nummern-Oper, in der Arien, Duette, Terzette und Rezitative wohlgeordnet aufeinanderfolgen. Und zur Begleitung muss oft noch das antiquierte Basso-Continuo-Cembalo herhalten. Die Geschichte, die Mayr erzählt (nach einem Libretto des längst verstorbenen genialen Metas-tasio), spielt in der Antike – das allein schon macht das Werk zu einer Art Dinosaurier im Umfeld der grandiosen „modernen“ Opern von Carl Maria von Weber oder Rossini.

Im „Dramma per musica“ geht es um den bei Adoptiveltern aufgewachsenen König Demetrio, in den sich Königin Cleonice verliebt. Sie kann ihn allerdings nicht heiraten, da er angeblich nicht adelig ist. Am Ende siegt die Liebe. Es stellt sich heraus, dass Demetrio ein Königssohn ist, dessen Vater von Cleonices Vater unrechtmäßig vom Thron gestoßen wurde. So treten wieder politisch legale Verhältnisse ein.

Mayr hat diesen Stoff bravourös umgesetzt, hochkreativ, handwerklich äußerst geschickt. Wieder überzeugt besonders der Einsatz von Soloinstrumenten, die in verschiedenen Arien den Gesang höchst raffiniert und polyfon umspielen. In ihrer kompositorischen Meisterschaft übertrifft das vieles, was sonst in dieser Zeit geschrieben wurde – auch von Rossini, Bellini und dem frühen Verdi. Allerdings vermag es Mayr oft nicht, mit der gleichen Suggestion zu komponieren wie diese berühmteren Vor- und Frühromantiker. Eine Wilhelm-Tell-Ouvertüre (Rossini) oder eine Casta-diva-Arie (Bellini) ist Mayr (vermutlich) nicht gelungen.

Die Verzweiflung unglücklicher Liebe vermochte Mayr dennoch bewegend darzustellen. Hier bedarf es natürlich auch gefühlstiefer, engagierter Sänger, um diese emotionale Achterbahnfahrt darzustellen.

Der Posener Produktion standen dazu zwei wunderbare Sängerinnen zur Verfügung. Besonders die Sopranistin Monika Mych, die die Cleonice verkörperte, konnte mit ihrer jugendlich beweglichen, gleichzeitig voluminösen und mühelos ansprechenden Stimme die Liebesnöte anschaulich machen. Fast noch eindrucksvoller agierte die Mezzosopranistin Amaya Dominguez (Demetrio). Ihre Stimme ist weniger schön, glatt und einschmeichelnd, dafür charaktervoller, anrührender. Auf einem weniger hohen Niveau sangen die Männer an diesem Abend. Der Bass von Jerzy Mechlinski (Fenicio) kam unkultiviert bellend daher, Bartlomiej Szczeszeks Tenor (Mitrane) dagegen klangschön, aber zu dünn. Und Piotr Friebe als der Demetrio-Gegenspieler Olinto hatte immer wieder Schwierigkeiten mit der Höhe.

Präzise und mitreißend spielte das Posener Staatsopern-Orchester unter der Leitung von Facundo Agudin. Allerdings wirkte das Dirigat des Argentiniers oft ein wenig hölzern, als wäre er hauptsächlich mit der philharmonischen Organisationsarbeit beschäftigt. Erst ganz am Ende bei der Zugabe drangen echte Leidenschaft und Feuer über die Bühnenrampe. Begeisterter Beifall des Publikums für das Meisterwerk von Mayr.