Ingolstadt
Zwischen den Extremen

Brian Bell inszeniert "Stella" in Ingolstadt

17.10.2017 | Stand 02.12.2020, 17:20 Uhr

Ingolstadt (DK) Was macht ein Texaner in Bayern? Brian Bell lacht: "Ich habe gehört, dass Bayern das Texas Deutschlands ist." Der Regisseur (35), der in der vergangenen Saison mit "Babytalk" eine feinsinnig-komische, aber auch zutiefst berührende Inszenierung im Studio präsentierte, arbeitet erneut in Ingolstadt an einem Musical. Dieses Mal im Großen Haus.

Wieder ist es aus der Feder von Peter Lund. Aber diesmal basiert die Story auf einem dunklen Kapitel deutscher Geschichte - die der jüdischen Gestapo-Agentin Stella Goldschlag.

Brian Bell kannte ihre Geschichte. Denn nebenbei arbeitet er als Dozent für die Gedenkstätte Sachsenhausen, wo er englischsprachige Führungen anbietet. "Als ich dort vor zwei Jahren meine Lizenz gemacht habe, wurde uns die Biografie von Stella Goldschlag als Paradebeispiel von Greifern erzählt, die dort inhaftiert waren", erzählt er. "Nach diesem Bericht von Günter Morsch, dem Leiter der Gedenkstätte, dachte ich mir: heftige Geschichte. Gott sei Dank muss ich mich damit nie wieder auseinandersetzen. Ein Jahr später kam der Anruf von Knut Weber, ob ich das Musical ,Stella €˜ inszenieren möchte." Er sagte zu.

Brian Bell spricht fast akzentfrei deutsch. Den ersten Deutschunterricht hatte er schon in der Schule. Erste Regieversuche startete er mit 18 in Texas, studierte aber zunächst Schauspielerei an der University of North Texas. Dort gab es auch ein Seminar über die Literatur der Weimarer Zeit. "Das war für mich wie ein Blitzschlag - und ich wollte unbedingt nach Berlin", erzählt er. Er arbeitete am Theater an der Parkaue und probierte sich in der freien Szene aus. Nach einem kurzen Zwischenspiel in Chicago, wo er spielte, inszenierte, produzierte, eine Company leitete und auch im Kindertheaterbereich tätig war, kam er zurück nach Deutschland und arbeitet seither als freier Regisseur.

Jetzt also "Stella", das 2016 zum "Musical des Jahres" gekürt wurde. Stella ist 20, blond und jung und schön. Sie möchte ein Star sein drüben in Amerika. Aber Stella ist Jüdin, und die Familie Goldschlag bekommt kein Visum. Sie wird auf andere Weise bekannt: als das "blonde Gespenst vom Kurfürstendamm", als Greiferin der Gestapo. "Es ist mutig, aus diesem Stoff ein Musical zu machen", sagt Brian Bell. "Aber dem Komponisten Wolfgang Böhmer und dem Autor Peter Lund ist es gelungen, spielerische Handlung, Traumebenen und die verschiedensten Musikrichtungen von Jazz über Swing bis zu Zwölftonmusik ineinander zu weben. Das Musical hat eine große Emotionalität. An den Stellen, an denen Worte nicht mehr ausreichen, beginnt die Musik. Das ist raffiniert gemacht." Einfach ist es nicht. Beim ersten Lesen weiß man gar nicht genau, wo man sich befindet: Spielt das jetzt? Erleben wir ein Flashback? Sind wir mitten in einem Albtraum? Höchstleistungen werden vor allem von Sarah Horak in der Titelrolle abverlangt. "Man muss mit ihr mitfühlen, soll aber kein Mitleid haben. Sie hat Schreckliches getan, war aber auch Opfer. Sie hat alles verloren, gleichzeitig aber nie etwas bereut. Das ist eine schwierige emotionale Reise", erklärt Brian Bell.

Und was soll der Zuschauer aus dem Abend mitnehmen? "Er soll sich selbst befragen. Das Leben ist nicht schwarz-weiß, es ist voller Grautöne. Aber diese Ambivalenz ist auch spannend. Wir erzählen die Geschichte der Stella Goldschlag und laden ein, darüber nachzudenken. Das ist es, was Theater macht: Es stellt Fragen und regt Gespräche an."

Premiere ist an diesem Samstag um 19.30 Uhr im Großen Haus. ‹ŒFoto: Stadttheater