Ingolstadt
Wunder des zarten Schönklangs

Das Jerusalem Quartet gab ein fantastisches Konzert beim Konzertverein Ingolstadt

19.11.2017 | Stand 02.12.2020, 17:11 Uhr

Zwischen Perfektion und Emotion: Das Jerusalem Quartet wurde vom Publikum im Festsaal gefeiert. - Foto: Schaffer

Ingolstadt (DK) Brutaler, unversöhnlicher kann man ein Musikstück kaum beginnen. Eine zornige Sechzehntelfigur platzt ruppig in den Saal, nach einer kurzen, vor Spannung berstenden Pause dann ein hoher Entsetzensaufschrei der ersten Violine. So beginnt das wohl ungemütlichste Streichquartett von Ludwig van Beethoven, das Quartett op. 95 in f-Moll. Wohl niemals zuvor wurde so schmerzensgeladen, so wütend komponiert. Musikhistoriker vermuten einen sehr persönlichen Anlass für diesen musikalischen Exzess: Beethoven hatte sich unglücklich in Therese Malfatti verliebt, einen Heiratsantrag hatte die Arzttochter 1810 abgelehnt.

Man kann sehr unterschiedlich mit diesem Verzweiflungsausbruch in Noten umgehen - ungestüm, kalt bis an die Grenze des Erträglichen wie einige bedeutende Streichquartette. Oder eher so wie das Jerusalem Quartet, das auf Einladung des Konzertvereins Ingolstadt im Festsaal gastierte. Denn die vier Musiker präsentieren einen eher milden Zorn, die Grenzen des Schönklangs werden niemals durchbrochen. Der Schmerz wird niemals hässlich.

Das könnte man kritisieren: Große Emotionen, verschmähter Liebe Leid überschreitet oft alle Form des Ästhetischen. Aber die vier Musiker spielen mit solcher Finesse, solcher Perfektion und dabei so ungemein emotional, dass sich jedes ablehnende Wort eigentlich verbietet. Vor allem sind die Jerusalemer Meister des vollkommenen Schönklangs. So lebendig, so atmend, so voller weicher Vollkommenheit ist der Klang ihrer Instrumente, dass man aus dem Staunen kaum herauskommt - allein schon wegen des sinnlich vibrierenden Tons des Primarius Alexander Pavlosky.

So sind auch die anderen Sätze ein Erlebnis: der stockende Gang des zweiten Satzes mit seinen verinnerlichten Melodiebewegungen und der langsamen Fuge. Das Attacca des dritten Satzes und das stürmische Rondo am Ende, in dem die Jerusalemer ganz gelöst alle Spannungen in heiter-stürmischen Läufen auflösen.

Fast noch faszinierender gerät den vier Israelis Béla Bartóks 1. Streichquartett, fast genau hundert Jahre nach dem Beethoven-Quartett komponiert. Auch sonst gibt es Ähnlichkeiten zwischen den beiden Werken. Denn auch Bartók litt unter Liebeskummer nach einer gescheiterten Liebesbeziehung, als er das Quartett komponierte.

Aber der Schmerz fand gänzlich anderen Ausdruck: Das Lento am Anfang ist ein dichtes Gewebe der vier Stimmen, eine Art Doppelfuge. Die Jerusalemer spielen das mit größter Eindringlichkeit, so atmosphärisch, so hochromantisch, so süffig, dass es eher an Brahms erinnerte als an die späteren Quartette von Bartók. Und selbst der Schlusssatz mit seinen grotesken, wilden Motiven bleibt immer noch ein wenig melancholisch verhangen.

Bartóks 1. Streichquartett ist so etwas wie ein Abschied von der Romantik mit den Mitteln des Jugendstils. Wie es zu diesem Übergang kommen konnten, offenbart vielleicht ganz gut das späte Dvorak-Quartett, das das Jerusalem Quartet an den Abschluss seines Gastspiels stellte: das G-Dur-Quartett op. 106. Bei aller mitreißenden Volkstümlichkeit und Romantik, die ja für Dvorak so typisch ist, geht er doch auch an Grenzen, versucht harmonisches Neuland zu erkunden.

Die Darstellung des Jerusalem Quartet wäre wahrscheinlich der Höhepunkt des Abends, so mitreißend, differenziert und volkstümlich-temperamentvoll musizierten die vier. Wenn sie nicht noch eine Zugabe gespielt hätten: den langsamen Satz aus Claude Debussys Streichquartett.

Das Jerusalem Streichquartett entfaltet im Pianissimo alle Facetten der Klangsinnlichkeit, der intimen musikalischen Kooperation, allerdings eher hochromantisch als impressionistisch. Ein kleines Schmuckstück der Musik, in dem alle Tugenden dieses fantastischen Quartetts noch einmal aufleuchten. Wunderbar!