Ingolstadt
Wenn die Hauswand zur Leinwand wird

"A Wall is a Screen" nimmt das Publikum heute Abend mit auf einen cineastischen Nachtspaziergang in Ingolstadt

12.05.2016 | Stand 02.12.2020, 19:49 Uhr

Foto: DK

Ingolstadt (DK) Es ist ein Kino-Open-Air der besonderen Art. Denn statt auf Blockbuster, Bier und Bequemlichkeit setzen die Kurzfilmaktivisten von "A Wall is a Screen" auf Unvorhersehbares und die Magie des Ortes. In nächtlichen Erkundungstouren führen sie Cineasten in Hinterhöfe und zu Bürofassaden - und verwandeln (der Name ist Programm) urbane Flächen in Kinoleinwände. Heute, Freitag, kommt ein Trio aus Hamburg nach Ingolstadt - als Auftakt des Kurzfilmfestivals 20minmax, das Anfang Juni über die Bühne geht. Wir wollten von Peter Haueis Näheres über diese nächtliche Kurzfilmwanderung wissen.

 

Peter Haueis, wer denkt sich so was aus - mit Beamer und Lautsprecher nachts um die Häuser zu ziehen?

Peter Haueis: 2003 haben wir das zum ersten Mal im Rahmen des Internationalen Kurzfilmfestivals in Hamburg gemacht. Der Grundgedanke war, Kino auf die Straße zu bringen. Kunst hat in Form von Street Art natürlich schon längst den Weg in den öffentlichen Raum gefunden. Kino noch nicht. Das wollten wir machen: mobiles Kino auf der Straße zeigen - frei zugänglich für alle, die sich im öffentlichen Raum bewegen. Ein Aspekt dabei war natürlich auch, den öffentlichen Raum zurückzuerobern. Denn viele Innenstädte erleben die gleiche Entwicklung: Wohnraum verschwindet, Gewerberaum entsteht, nachts veröden die Zentren. Dem wollten wir etwas entgegensetzen mit unserer Mischung aus Stadtführung und Filmnacht. Inzwischen hat sich das Ganze so verselbstständigt, dass eine eigene Künstlergruppe daraus entstanden ist. Seither ziehen wir durch deutsche, europäische und Weltstädte - und bringen unser Konzept in die verschiedenen Viertel dieser Städte.

 

Wer ist wir?

Haueis: Unsere Künstlergruppe hat sechs Mitglieder. In unseren Hauptjobs arbeiten wir alle im Bereich des Films. Wir sehen uns als Akteure im öffentlichen Raum.

 

Wie läuft so ein Abend ab?

Haueis: Es gibt einen Startpunkt, an dem sich alle Interessierten treffen. Der Rest der Route wird nicht verraten und bleibt genauso geheim wie die Filme, die gezeigt werden. Wir kommen immer zu dritt - mit mobiler Kinoausrüstung, also mit autonomer Stromversorgung, Ton und allem Drum und Dran. Dann geht es los - auf Entdeckungstour durch die Stadt. Dann werden Filme an Häuserwände projiziert, die in Kontext mit dem jeweiligen Ort treten. Dann läuft man fünf bis sieben Minuten zum nächsten Ort. Wir kuratieren Orte und Filme zusammen. Weil das Publikum nicht weiß, wo es hingeht, kann es seine eigene Stadt ganz neu erleben. Vielleicht kommt es sogar an Orte, die es vorher noch gar nicht wahrgenommen hat - und betrachtet die Stadt plötzlich aus einem ganz neuen Blickwinkel.

 

Haben die Filme mit den jeweiligen Städten zu tun?

Haueis: Wir recherchieren immer, ob es ein spezielles Thema gibt. Vielleicht zeigt man auch mal einen Film, der in der jeweiligen Stadt gedreht wurde. Aber darauf liegt nicht unser Hauptaugenmerk. Es sind unabhängige Kurzfilme, die vielleicht auch in einer abstrakteren Form in Verbindung zu dem jeweiligen Ort stehen.


Woher haben Sie die Filme?

Haueis: Wir haben ein Kurzfilmarchiv von etwa 800 bis 900 Filmen, das wir konstant pflegen und ausbauen. Wir halten die Lizenzen und Aufführrechte für jeden Film. Und suchen auf den Kurzfilmfestivals der Welt immer wieder neue Filme. Wir beschäftigen uns ja viel mit dem öffentlichen Raum, mit Stadtentwicklung, Stadtgestaltung, Leben in einer Stadt und die Filme, die wir haben, stehen in Verbindung zu diesen Themen.

 

Sie sind am Freitag in Ingolstadt. Das heißt, Sie müssen vorher die Route erkunden?

Haueis: Dank der neuen Technologien - Google Street View, Satellitenbilder, Bing - ist es für uns jetzt ein bisschen einfacher. Da kann man tatsächlich schon erste Orte und die grobe Route fürs Ordnungsamt festmachen. Wir reisen aber vorher an, um in langen Abend- und Nachtspaziergängen die finale Route festzulegen - und die finalen Filme. Das ist dann unser kuratorischer Ansatz, die richtigen Filme für die Orte auszuwählen. Pro Tour sind es etwa sieben bis neun Kurzfilme.

 

Waren Sie schon mal in Ingolstadt?

Haueis: Nein. Das wird sehr interessant für uns, die Stadt zu entdecken.

 

Wie schwer ist das Equipment?

Haueis: Zwei Boxen, ein Ton- und Videokoffer, ein Generator und ein Beamer. In Kilo umgerechnet kann ich Ihnen das gar nicht sagen. Aber: Man kann es zu zweit transportieren.

 

Wie nimmt der Zuschauer diese Form des Kinoerlebnisses wahr - nachts, draußen?

Haueis: Meist sind es so um die 100 Leute, die da kommen. Und diese Gruppe entwickelt sich sehr schnell zu einer Gemeinschaft. Natürlich geht es darum, Filme an ungewöhnlichen Orten zu sehen, oder überhaupt erst mal an diese ungewöhnlichen Orte zu kommen. Aber dann geht es auch um diese Gruppendynamik. Und oft kommt es zu sehr lustigen Begebenheiten. In Hamburg hatten wir beispielsweise mal einen Film in einer U-Bahn-Station gezeigt, in dem es um die Rushhour in Tokio ging, wo die Leute in die U-Bahn gequetscht wurden. Und just in dem Moment lief eine Gruppe Japaner durchs Bild. Das war nicht geplant. Aber die Umgebung wurde plötzlich Teil des Films.

 

Die Fragen stellte Anja Witzke.

 

"A Wall is a Screen" gastiert als Warm-up für das Kurzfilmfestival 20minmax am heutigen Freitag in Ingolstadt. Treffpunkt ist um 21.15 Uhr vor dem Stadttheater. Die Tour dauert etwa 90 Minuten und findet auch bei Regen statt. Die Teilnahme ist kostenlos.