Ingolstadt
Wenn Afrika Europa gefressen hat

Die spannende Sonderausstellung "Europäische Stammeskriege" im Ingolstädter Reduit Tilly

14.10.2015 | Stand 02.12.2020, 20:41 Uhr

„Africa destroys Europe“ von Dominic Wood im Reduit Tilly - Foto: Hammerl

Ingolstadt (DK) „Africa destroys Europe“ – welch starkes Motiv! Kräftige Farben, vor allem Rot, Gelb, Schwarz und Weiß, bewegte Linien und ein provokanter Titel. Das Bild von Dominic Wood ist nur eines von rund 100 Exponaten der aktuellen Ausstellung im Reduit Tilly.

„European Tribal Wars“ (Europäische Stammeskriege) finden hier bis einschließlich Sonntag, 22. November, statt. Oder werden vielmehr abgemahnt. Andrew Gilbert, Stefan Kaminski und Dominic Wood – acht Räume, drei Künstler, drei ganz unterschiedliche Arbeitsweisen und Exponate. Was sie verbindet? Da ist zum einen die Assoziation von Kurator Tom Biber, der „die drei sofort im Kopf hatte“. Was sie verbindet? „Wenn sie Outsider sind, dann sind sie alle drei so was von Outsider, dass sie schon wieder Insider sind“, findet Biber.

Jeder für sich arbeitet ethnologisch, Gilbert mit historischem Schwerpunkt, was sich unter anderem in „Culloden, 16th of April 1746“ ausdrückt. In der Schlacht von Culloden standen die Engländer – bei Gilbert in wohl geordneten Reihen – einer wilden Horde von Highland-Schotten gegenüber. Der Schein trügt. Die zahlenmäßig überlegenen Engländer schlugen die Jakobiten vernichtend, auch wenn es auf dem Bild ganz und gar nicht so aussieht, als könnten die braven Engländer dem Ansturm der gefürchteten Highländer standhalten. Ob Europa dem gierigen Schlund Afrikas, von dem hauptsächlich Zähne zu sehen sind, standhalten wird? Zwar lässt Wood das kräftige Gebiss einen englischen Soldaten der Kolonialzeit verschlingen, doch die Aktualität des Bildes dürfte außer Zweifel stehen. Ob der Besucher die Ausstellung als beängstigend oder Mut machend empfindet, wird höchst individuell sein. Die Künstler persiflieren das Stammesdenken, setzen wie Gilbert dem Bayerischen Soldaten Gasmasken auf und stecken ihn in Federröckchen. Die Vorstellung, die sich Europäer von fremden Stämmen machen, sei ein Zeichen für die Enge des eigenen Geistes, meint Ansgar Reiß, Chef des Armeemuseums, der begeistert ist von der Dialektik der Ausstellung. Letztlich komme es aber für die Ausstellung darauf an, was in den Köpfen der Besucher passiere.

Ja, was passiert, wenn Afrika Europa gefressen hat? Gefängnis für die Reste des europäischen Stammes? „Knast“, „Circle“ (Dead Flag) und „Frontline“ nennt Stefan Kaminski seine Werke aus Schaumstoff im Stil der Arte Povera. Hier setzt er Holzstäbe in Dämmstoffplatten ein, sodass Assoziationen zu Gefängnistüren oder -fenstern, aber auch zu Zähnen geweckt werden. Wer einen Schritt zurücktritt, der sieht mit etwas Fantasie ein Gesicht im „Knast“. Kontrastprogramm bieten Kaminskis großformatige Aluminum-Acryl-Legierungen, die teils archaisch in ihrer Formengebung anmuten, teils aber auch an ägyptische Arbeiten erinnern.

In Raum sechs dominiert der „Chair to the Church of Dominic Wood”. Ein Fakirstuhl? Der Künstler beruhigt, nein, der Stuhl sei nicht gedacht, um darauf zu sitzen. Jedenfalls nicht mit dem Körper, sondern vielmehr für die Seele, den Geist. Ein Stuhl der Läuterung also.

Die Wände zieren hochformatige Werke mit markanten braunen Rahmen und einer an Wachsmalkreiden erinnernden Farbgebung. Kirchenfenster? Der zweite Blick auf die Rahmen zeigt unten Hände, wodurch sie etwas Lebendiges bekommen, sich wie eine schützende Hülle um die leuchtenden, farbenfrohen Bilder legen.

Eine berührende, hochemotionale, um nicht zu sagen, aufwühlende Ausstellung, die den Besuch im Reduit Tilly gewiss lohnt.

Die Sonderausstellung „Europäische Stammeskriege“ ist bis zum 22. November im Reduit Tilly zu sehen. Geöffnet ist von Dienstag bis Freitag von 9 bis 17.30 Uhr, sowie Samstag und Sonntag von 10 bis 17.30 Uhr.