Ingolstadt
Weill und Brecht in Cyber-City

"Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" als Gastspiel aus Salzburg

09.06.2017 | Stand 02.12.2020, 17:58 Uhr

Reich der iPhones: Szene mit Elliott Carlton Hines und Franz Supper. Das Gastspiel läuft noch Samstag und Sonntag. - Foto: Löffelberger

Ingolstadt (DK) Bert Brecht und Kurt Weill haben offengelassen, wo ihre Stadt Mahagonny liegt und was es genau mit ihr auf sich hat. Nun, nach der Aufführung von "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" als Gastspiel des Salzburger Landestheaters, sind wir etwas klüger.

Mahagonny ist das Paradies des Internets. Es ist eine Cyberstadt, deren Mittelpunkt ein Internet-Hotspot ist, in der Clouds und Twitter-Vögel schweben, das Ortsschild von Mahagonny im kunterbunten Google-Schriftzug leuchtet und überall "amazing"-Schilder stehen, im Design von "Amazon". Und in der schließlich der Holzfäller Jim Mahoney auf einem iPhone gekreuzigt wird, mit Facebook-Nägeln. Damit scheint Regisseur Jacopo Spireis eine gewitzte Aktualisierung des Stücks aus dem Jahr 1930 gelungen zu sein. Und doch: Der Beifall am Ende der Vorstellung am Donnerstagabend im Stadttheater Ingolstadt war kurz und freundlich. Begeisterung klingt anders.

Vielleicht liegt es am Stoff. Denn der bleibt, bei aller Auffrischung der Regie, grobschlächtig. Drei Verbrecher auf der Flucht gründen die Stadt Mahagonny, die bald blüht und gedeiht, weil dort alles erlaubt ist, was Spaß macht und der Kapitalismus sich ungezügelt entfalten kann. Aber der Kapitalismus ist böse. Er spricht Mörder frei, wenn sie Bestechungsgelder zahlen, aber wer, wie Jim Mahoney, mittellos ist, weil er sich verspekuliert hat, der wird zum Tode verurteilt. Denn wir wissen es ja: Geld regiert die Welt. Das ist keine feinsinnige Entschlüsselung ökonomischer Abgründe, das ist Überzeugungsarbeit mit dem Holzhammer.

Aber auch einfach gestrickte Gedanken können unterhaltsam sein. Der Inszenierung von Spireis gelingt das auf weiter Strecke - dank guter Darsteller. Einen Jim Mahoney, wie ihn Franz Supper mit großer tenoraler Kraft entwickelt, kann man sich nur wünschen. Ebenso seine Kumpanen (Rainer Maria Röhr, Erick Greene, Paul Curievici, Elliot Cariton Hines, Raimundas Juzuitis, Gürkan Gider), die mit Engagement spielen und singen. Und auch die Witwe Begbick, verkörpert von Frances Pappas, ist in ihrer resoluten Haltung und mit kernigem Sopran ein Lichtblick. Während die liebliche Jenny, dargestellt von Laura Nicorescu, mehr durch Schauspieltalent denn durch Gesang mitreißt.

Überhaupt die Musik. Nichts macht an diesem Abend mehr Spaß, als die vielen Exkurse, die diese Komposition nimmt, zu verfolgen, diese Ausflüge zu Bachs Fugenkosmos, dem Klavierkitsch, den jazzigen Einschüben. Eine Musikwelt, montiert aus Zitaten und Anspielungen, die alle irgendwie so unharmonisch und marode wirken wie die Moral der Stadt Mahagonny. Das Mozarteum-orchester spielt die schrägen Melodien brillant und feurig unter Leitung von Adrian Kelly.

Das Konzept scheitert dennoch. Weil Mahagonny als Cyberstadt zu verstehen letztlich doch zu kurz greift, weil die Probleme von sozialen Netzwerken, von Cyberattacken und schwindender Privatsphäre wenig mit Brechts Kapitalismuskritik zu tun haben. Und wenn das Ensemble am Ende auf der Bühne die allzu offensichtliche Moral der Geschichte noch so laut schmettert. Es bleibt ein Gefühl der Leere.