Ingolstadt
Von wegen virtuell

"Out of Office": Eine Ausstellung im Museum für Konkrete Kunst beschäftigt sich mit dem Büro und seinen Materialien

23.05.2017 | Stand 02.12.2020, 18:04 Uhr

Foto: DK

Ingolstadt (DK) Keine Panik: Es ist nur Papier. Ein weißer Kegel aus zerknüllten Blättern, der aus der Beletage des Museums für Konkrete Kunst skulptural hinaufragt bis zur Bodenöffnung des oberen Stocks. Aber ach! Fantasiebegabte Menschen denken hier unweigerlich an Arbeitsberge, gescheiterte Entwürfe, an die endlose Papierflut des Produzierens im Büro.

Wie viel wiegt dieser Berg? Hat er mich nicht schon längst erdrückt? - So ist sie, diese Ausstellung "Out of Office - Büro-Kunst oder das Büro im Museum" (zu deren Eröffnung der Münchner Bildhauer Florian Lechner in einer abendfüllenden Performance 100 000 (!) DIN-A4-Kopierbögen zerknautschen und eben zu jenem Kegel werfen ließ): komplett konkret. Und ungeheuer narrativ.

Denn in diesem Spannungsfeld zwischen (farb)formaler Studie und assoziierbarer Erzählung bewegen sich die meisten der über 100 Arbeiten von 30 Künstlern sehr zum Schau- und Denkvergnügen des Museumsgastes. Was natürlich auch der Auswahl der Exponate durch Kuratorin Theres Rohde und einer frischen, peppigen, an Zusammenhängen orientierten Präsentation zu danken ist. In zwölf Kapitel hat das Museumsteam die Schau geordnet - vom "Schreibmaschinenkabinett" über "Ablagesysteme" und "Zeitmanagement" bis hin zur "Abwesenheitsnotiz" -, hat jeder Abteilung einen Ordner (man darf blättern und findet Künstlerinfos) als Legende beigelegt und lässt dann in mit Lust und Farbensinn gestalteten Kabinetten in heutzutage doch eigentlich längst obsoleten Materialien schwelgen.

Ordner! Millimeterpapier! Aktenreiter! Haftetiketten! Geodreiecke! Shredder! Klarsichthüllen! All das wird zu (konkreter) Kunst im Zugriff der Gestalter, und das nicht von ungefähr. "Ordnung, Systeme, Ablage - das sind ganz wesentliche Fragestellungen der Konkreten Kunst", sagt Museumsleiterin Simone Schimpf. Das Serielle und Industrielle von Büromaterialien, ihre so farbformale wie bedeutungslose Schönheit, und nicht zuletzt das Büro selbst mit seinen starren Regeln und Ritualen als Symbol und Sinnbild der Gesellschaft beschäftigen Konkrete Künstler seit eh und je. Aus den 1960er-Jahren stammen denn auch die ältesten Exponate dieser Schau - seriell auf Karton montierte Etiketten und Lochkarten von Peter Roehr -, ganz aktuell sind Florian Lechners papierner Berg oder auch die riesige temporäre Arbeit der in München lehrenden Kölner Künstlerin Tina Haase.

Sie bestückte die große Wand im oberen Foyer flächendeckend und in mehreren Schichten mit 500 Ordnern, Heftern, Klarsichthüllen - ein farbenprächtig schimmerndes, geradezu expressionistisches Gemälde in Grün, Blau und Rot ist dieses Werk geworden, das doch nur (Spannungsfeld!) aus banalsten Bürowerkzeugen besteht. Von Haase wird man noch mehr finden in der Schau, ein delikat transparentfarbiges Wandobjekt etwa aus pastelligen Linealen, aber auch Beat Zoderer ist mehrfach da. Der Schweizer, nicht zum ersten Mal im Museum präsent, malt ebenfalls mit farbigen Klarsichthüllen, enthüllt darüber hinaus aber die Schönheit von Lochverstärkern oder Haftetiketten in wunderbaren pittoresken Monocollagen. Auch Karin Sander, die in Zürich lehrt, verwandelt Bürobanalität in konkrete Poesie - mittels farbiger Aktenreiter, die wie Seelennotate auf weißem Papierrand sitzen. Und Fiene Scharp hat sich der Lebensaufgabe gestellt, Millimeterpapier entweder passgenau nachzuzeichnen oder dessen winzigste Quadrate händisch zu lochen zu filigranstem Muster.

Wäre das alles zu entdecken, es wäre schon genug. Weil aber das Büro offenbar unendliches künstlerisches Thema ist, gibt es noch weitaus mehr zu sehen als das Spiel mit immer neuen Materialien. Saskia Groneberg etwa hat Büropflanzen fotografisch dokumentiert - wie komisch und präzis das Buchobjekt, in dem sie jeder Makroaufnahme die einzelne Dienststelle zugeordnet hat! Peter Piller auf Firmenbriefpapier pointierte Sketche gezeichnet. ("Schlaflos im Morgengrauen joggender Kollege"). Und Lilly Lulay - unter anderem - ein packendes Objekt namens "Sundowner at the Beach" beigesteuert: Aus einem in einem Treibholzgestell hängenden Aktenshredder quillt das zerschnittene Bildnis eines Sonnenuntergangs am Strand. Vergangene Urlaubsträume eines Angestellten? "Out of office" ist für viele Wunsch, sollte man aber hier nicht bleiben. Sehenswert!

Bis 10. September, Di bis So, 10 bis 17 Uhr.