Ingolstadt
Von Wundern und Wunderkindern

Das Trio Armstrong/Bielow/Brendel begeistert beim Konzertverein Ingolstadt

04.04.2017 | Stand 02.12.2020, 18:21 Uhr

Hochsensibles Zusammenspiel: Kit Armstrong (Klavier), Adrian Brendel (Cello) und Andrej Bielow (Geige) im Theaterfestsaal. - Foto: Schaffer

Ingolstadt (DK) Wie sieht eigentlich ein echtes Genie aus? Möglicherweise so wie Kit Armstrong. Der 25-jährige gebürtige Taiwanese ist geradezu mit einem Übermaß an geistigen Gaben gesegnet. Was soll man von jemandem halten, der schon mit acht Jahren als Pianist öffentlich mit Orchester auftrat (wovon ein absolut faszinierendes Youtube-Video zeugt), in der Grundschule bereits nebenbei die Highschool besuchte und mit neun Jahren an der Universität ein Mathematikstudium begann? Ganz nebenbei lernte er noch mehrere Sprachen, sodass er heute nahezu auf Muttersprachen-Niveau Vorträge auf Deutsch halten kann.

Viel wichtiger aber ist eine Äußerung seines Mentors Alfred Brendel. Der legendäre Pianist sagte einmal über seinen Schüler: "Dieser Junge ist die größte musikalische Begabung, der ich in meinem ganzen Leben begegnet bin."

Dieser Satz ist mehr als nur eine schwer lastende Hypothek - er kann zerstören. Denn wo immer Kit Armstrong in den Jahren danach aufgetreten ist, begegnet er so hochgeschraubten Erwartungen, dass er eigentlich nur enttäuschen kann.

Für seinen Auftritt beim Konzertverein hat der junge Pianist zwei Kollegen mitgebracht, mit denen er seit 2012 zusammen im Trio musiziert: den Sohn seines Mentors, Adrian Brendel, und den Geiger Andrej Bielow. Beide Künstler sind längst als Solisten in den großen Konzertsälen Europas und der USA zu Hause. Den ersten Ton an diesem Abend hat allerdings Armstrong - bei Wolfgang Amadeus Mozart Violinsonate KV 379. Fast beiläufig greift er in die Tasten, entfaltet sehr langsam einen G-Dur Akkord als Arpeggio, wiederholt ihn, als stecke keine Absicht dahinter, bis sich aus der bloßen, harfenartigen Begleitharmonik eine empfindsame Melodie entspinnt. Armstrong spielt sie, als hätte er sie gerade zum ersten Mal entdeckt, verleiht ihr eine verhaltene Süße des Anschlags, gibt ihr Raum, als wäre sie eine zarte Pflanze. Das ist so berührend gespielt, so zurückhaltend authentisch, so bescheiden-schön, dass es einem die Sprache verschlägt. Was für ein Anfang! Vielleicht vermag wirklich nur ein Genie so zu spielen.

Armstrongs wundersamer Konzerteinstieg sollte keineswegs den Blick auf die beiden anderen Musiker verstellen. Andrej Bielow, der einen Moment später in der Mozart-Sonate einsteigt, ist ein fantastischer Geiger. Mit ähnlicher Ausdruckskraft und Sensibilität führt er weiter, was Armstrong begonnen hat. Ein beseeltes Zusammenspiel beginnt, in dem jeder so weit es geht, die musikalischen Fäden des Partners übernimmt, weiterführt, ihm wieder zuspielt. Und doch gibt es Unterschiede. Bielow ist ein feinsinniger Gefühlsmusiker, aber nicht unbedingt ein Perfektionist. Armstrong ist mehr als das. Er behält die Übersicht. Auf seinem Flügel hat er anstelle einer Partitur nur sein Apple-Notebook gestellt, wenn er umblättert, drückt er schnell eine Taste. Aber eigentlich sieht er fast überhaupt nicht in die Noten, denn er beherrscht jeden Ton auswendig. Dafür beugt er sich so oft es geht weit nach rechts, zu seinem Partner, blickt ihn an, um wirklich jeden Ton, jede musikalische Formulierung so genau es geht mit ihm abzustimmen - sei es beim düster-rasanten g-Moll-Allegro oder bei den lyrisch schwingenden Variationen des Schlusssatzes.

Die Triomusiker haben für das Konzert ein weit gespanntes Programm entwickelt, in dessen Mittelpunkt Werke der drei Wiener Klassiker stehen: die Mozartsonate, von Haydn das Klaviertrio "Jacobs Dream" und von Beethoven das Trio op. 1,2. Dazwischen gibt es programmatisch spannende Exkurse, einmal ins Barock mit Jean-Philippe Rameaus "Pièces de clavecin en Concert" und in die Moderne mit Werken der ungarischen Komponisten György Kurtag und György Ligeti.

Besonders Bielow und Brendel entpuppen sich als Ausdrucksextremisten, um jede musikalische Figur ringende Interpreten. Wer die Kontrolle behält, ist Armstrong - bei aller Finesse seines Spiels. Bei Ligetis 5. Etüde gestaltet er einen großen Bogen, dann spielt er fast so, als wäre ihm das ganze Werk wie ein statisches Bild, im Moment des ersten Tons bereits gegenwärtig. Brendel, der einige Miniaturen von Kurtag vorträgt und dabei fast so stark grimassiert wie sein Vater, scheint in den entlegensten atonalen Spielereien noch romantische Valenz zu schöpfen. Und alle drei blühen am meisten auf, wenn sie die langsamen Sätze von Haydn oder Beethoven interpretieren, weil das ihrem Willen zum absoluten Ausdruck am meisten entgegenkommt. Beethovens Trio op. 1,2 klingt dann manchmal fast ein wenig wie ein zerbrechliches Spätwerk.

Dass sie auch noch ganz anders spielen können, zeigen sie in der Zugabe mit Haydns C-Dur-Trio: geistvoll sprühender Presto-Witz, voller humorvoll donnernder Ausbrüche und einem treibenden Tanzrhythmus. Ein hinreißender Abschluss eines der besten Konzerte in einer insgesamt herausragenden Jubiläumssaison. Und: Kit Armstrong ist offenbar wirklich ein Genie.