Ingolstadt
Unverfälschte Mundart

"Dialektig"-Festival im Kulturzentrum neun bringt Tradition und Zeitgeist zusammen

10.12.2017 | Stand 02.12.2020, 17:05 Uhr

Foto: Lorenz Erl

Ingolstadt (DK) "Host scho g'head, im Wirtshaus is da Deife los", fetzt Judy (oder mit bürgerlichem Namen Judith Frank) ins Mikrofon. Vor ihr spüren die Menschen im gut gefüllten Kulturzentrum neun, wie die Raumtemperatur mit einem Mal spürbar ansteigt. Judy ist die Sängerin der niederösterreichischen Band Skolka, und sie verspricht 100 Prozent Weinviertler Dialekt. Nichts anderes wird an diesem Freitagabend zur zweiten Auflage des "Dialektig"-Festivals erwartet als unverfälschte Mundart.

Viele interessieren sich diesmal für Mundartmusik, die garantiert niemals auf einem Heimatabend zu hören sein wird. Und doch reichen die Wurzeln bis in diese Kategorie. Gruppen wie Skolka und andere bringen Tradition und Zeitgeist zusammen, verschmelzen das Beste daraus und geben dem Dialekt damit viel Standfestigkeit und Selbstbewusstsein neben dem sprachlichen Einheitsbrei des anglophilen Universalanspruchs.

Skolka hat die sicherlich nicht leichte Aufgabe, das Publikum als Auftaktband aus der frostigen Winternacht möglichst schnell zum Siedepunkt zu führen. "Wir versuchen, euch das Feuer unterm Hintern anzuzünden", droht die Sängerin. Judy und ihre sieben Männer an den Instrumenten lösen diese Herausforderung mit einem Crashkurs aus Tempo, Leidenschaft und quirliger Dynamik. Judy ist die Kleinste auf der Bühne, aber ein stimmgewaltiger Irrwisch mit Sprungfedern in den Wadeln und mitreißender Explosivkraft im Körper. "Auf geht's" und "Bis da Kidl fliagt" sind die gesungenen Parolen der Frontfrau. Die Band zündelt kräftig mit sattem Bläsergroove und treibt die Fieberkurve mit einem quirligen Feuertopf aus Ska und Polka hoch. "Ingolstadt, habt's a Energie? Lasst's es aussa", peitscht sie weiter an. Skolka sind in ihrer österreichischen Heimat längst bekannt, hier sind sie die Entdeckung des Abends.

Der Nino aus Wien hat nach diesem Vulkanausbruch vielleicht nicht den ganz glücklichen Nachfolgeplatz erwischt. Der junge Liedermacher und Literat gibt poetische Einblicke in sein Leben - und die sind naturgemäß weniger auf kraftvolle Dynamik und überbordende Stimmung ausgelegt. Der Übergang von kraftvoller Lebensfreude zu dezenteren Tönen und Texten braucht selbst nach der kurzen Umbauphase auf der Bühne ein wenig Zeit. Doch auch Nino Mandl und seine Musiker finden den Weg zu ihrem Publikum und ernten nach dem vorangegangenen Skolka-Sturm mehr als nur anerkennenden Applaus.

Irgendwie ist der Nino aus Wien auch eingequetscht in der Lücke zu Dreiviertelblut und ihren Finsterliedern. Bei der siebenköpfigen Gruppe aus Oberbayern um den Sänger Sebastian Horn fällt zunächst auf, dass alle sitzen. Nur Benny Schäfer am Kontrabass steht, und Horn lümmelt sich mit seiner sonoren Baritonstimme auf dem Stuhl wie ein müder Pennäler. Dafür sind die Themen der Songs frappant. Manche scheinen wie aus der Gruft oder von der Couch eines Psychiaters zu stammen. Keiner tanzt, aber alle stehen fasziniert vor der Bühne und lauschen wie elektrisiert. Etwa wenn Horn den Slogan des FC Bayern abwandelt und singt "Mia san net bloß mia". Dazu schwingt selbst im groovenden Saxofonsolo von Florian Riedl ein finsterer Unterton mit. Im Lied "Apfelbaum" strahlt die machtvolle Poesie von Mundart mit Bildassoziationen, die in Hochdeutsch kaum diese Kraft aufbrächten. Mit auf der Bühne stehen exzellente Musiker wie Dominik Glöbl, der mit Trompeten- und Flügelhornsoli bis hoch zur akustischen Schmerzgrenze jazzige Fantasien zeichnet. Bald schon reißen sie die Leute trotz dunkler Grundtöne zum Tanzen mit fort.

Dem Duo Attwenger aus Oberösterreich bleibt kurz vor Mitternacht nur mehr die undankbare Aufgabe, an Schlagzeug und Akkordeon mit einem Mix aus traditionellem Material und afroamerikanischen Einflüssen als Ausputzer zu agieren. Thematisch bleibt somit noch viel Raum für eine dritte Auflage im nächsten Jahr.