Ingolstadt
Unter Wasser

"Das lange Nachspiel einer kurzen Mitteilung" im Ingolstädter Studio

15.10.2017 | Stand 02.12.2020, 17:21 Uhr

Hier wird gestritten bis aufs Blut: Yael Ehrenkönig ist Louise, Claudio Gatzke spielt Jon in Maaike van Langens Inszenierung. - Foto: Olah

Ingolstadt (DK) Sie sind jung. Sie sind smart. Sie verbringen ihre Zeit miteinander. Trinken Bier. Spielen Billard. Jeder von ihnen hat eine feste Position in diesem Freundschaftsgefüge. Louise - schön und sexy - bildet den Mittelpunkt des Quartetts. Sie wird umschwärmt und genießt das auch. Johan ist ihr Freund. Mit Jon hat sie eine Affäre. Sjon träumt von ihr. Alles wie immer. Doch dann sagt Jon zu Louise diesen folgenschweren Satz: "Ich trage mich mit dem Gedanken, von hier wegzugehen." Und plötzlich ist nichts mehr, wie es war. "Das lange Nachspiel einer kurzen Mitteilung" hat Magne van den Berg ihr Stück genannt, das minuziös vom Zerbrechen dieser Freundschaft erzählt. Am Freitagabend fand im Studio des Stadttheaters Ingolstadt die deutschsprachige Erstaufführung statt. In Anwesenheit der Autorin, die extra aus Amsterdam angereist war - und sich von der Produktion begeistert zeigte.

Zu Recht. Denn Maaike van Langens Inszenierung zeugt von hoher Kunstfertigkeit. Sie überträgt die rhythmische Struktur des Textes in Spiel, in Kampf, in Tanz - und bietet der Musik der Sprache Raum. Dafür hat sie das Studio leer geräumt. Das Publikum sitzt auf hellen Holzquadern um die Bühne herum. Boden und Wand sind mit Spiegelfolie überzogen, was dem Raum eine klinisch-kalte, irgendwie futuristische Atmosphäre gibt, ihn aber gleichzeitig wie eine Bluebox wirken lässt. Als könnte man auf die Hintergrundflächen jeden x-beliebigen Ort projizieren. Lon-don, Berlin, Ingolstadt - der Konflikt, der hier verhandelt wird, ist nicht großstädtisch oder kleinbürgerlich, wird nicht von außen gespeist. Es geht um Innenschau. Um eine Clique als Familienersatz. Um vier Menschen und ihre Hoffnungen, Sehnsüchte, Zweifel. Auch darauf spielt dieses Bühnenbild an: auf die Suche nach Selbstvergewisserung. In den anderen spiegeln sie sich selbst - und sehen oft nur Zerrbilder.

Ein spannender Raum (Ausstattung: Jürgen Kirner). Ein hoch ästhetischer und assoziationsreicher dazu: Wenn er durch ein schmales Lichtband von oben beleuchtet wird, dann hat man (durch die vielen Reflexionen, aber auch durch die absolute Stille) das Gefühl, als würde man in einem Aquarium sitzen - und betrachte sonderbare Exemplare. Manche Fische überleben beispielsweise nur im Schwarm. Werden sie isoliert, sind sie orientierungslos. Andere Arten, etwa Kampffische, verfügen über ein hohes Aggressionspotenzial.

Also: Jon will weg. Wann? Warum? Wohin? Wieso sagt er das Louise und nicht Sjon? Ein bisschen ist es wie stille Post. Der eine trägt es dem anderen zu. Der missversteht es vielleicht. Erzählt es ein wenig anders weiter. Fragt nach. Und weil Jon scheinbar widersprüchliche Angaben macht, wird das Ganze immer verworrener. Die Fragilität der Beziehungen liegt bloß. Wie nah darf Nähe sein? Wann gefährdet sie die Freiheit? Wenn einer geht, was passiert mit denen, die bleiben? Gibt es vielleicht auch die Chance auf einen Neuanfang? Man beginnt zu fragen, bitten, verhandeln, taktieren, manipulieren. Plötzlich ist Sjon voller Blut und Louise halbnackt. Plötzlich schreit Johan. Und am Ende sind alle allein. Schutzlos. Desillusioniert.

Aufregend ist das, den Schauspielern bei diesem Seelenstrip zuzusehen, der so harmlos beginnt, aber sich ins Existenzielle steigert. Wie sie nach Worten suchen, den Worten Bedeutung abringen, Sätze kosten, wiederholen und dabei ins Gegenteil verkehren. Das ist von der Autorin clever gedacht und von den Schauspielern virtuos gemacht. Yael Ehrenkönig, Maik Rogge, Robert Naumann und vor allem Neuzugang Claudio Gatzke brillieren in ihren Rollen, geben ihren Figuren Tiefe, zeigen in Kurz- und Kürzestdialogen alle Facetten der Beziehungs-Tour-de-Force.

Undurchschaubar spielt Claudio Gatzke diesen Jon: in Lonely-Cowboy-Manier, aber zart, zögerlich, emotional überfordert. Dazu Yael Ehrenkönig als Louise, die mit ihrem Flirt-Gebaren doch nur Unsicherheit kompensiert. Maik Rogge als Johan - ruhender Pol des Quartetts, der eine dunkle Seite verbirgt. Robert Naumann als Sjon - ein vermeintlich harmloser Nerd mit hohem Zersetzungspotenzial.

Großartig ist ihr Zusammenspiel, weil sie den kühn komponierten Text, der wie ein Mix aus Woody Allen und Lars Norén anmutet, mit so viel Leben, Skurrilität, Drastik und Melancholie zu füllen vermögen. Nach 65 Minuten gibt es dafür langen Applaus.

Vorstellungen bis 19. November, Kartentelefon (08 41) 30 54 72 00.