Ingolstadt
Übersinnliches Beben

Finale der Festwoche zur neuen Bach-Orgel: Edgar Krapp gibt ein grandioses Konzert in Ingolstadt

23.05.2016 | Stand 02.12.2020, 19:46 Uhr

Ingolstadt (DK) Ja, diese Orgel kann brausen, donnern, grollen, posaunen, dass einem vor Ehrfurcht die Sinne vergehen. Sie ist fähig zum transzendenten Spektakel, sie kann das Münster übersinnlich erbeben lassen. Und das, obwohl sie nur die "kleine" Chororgel ist, nur ein Ergänzungsinstrument, in erster Linie dafür gedacht, näher am Altarraum den Gottesdienst besser zu begleiten.

Aber das ist in diesem Fall nicht der wirkliche Sinn dieses neuen, fantastischen, vom Dresdener Orgelbauer Kristian Wegscheider vorzüglich konzipierten Instruments. Denn sie hat einen speziellen Namen: Bach-Orgel. Nomen est omen. Der Name ist in diesem Fall Programm.

Rund eine Woche lang wurde das neue Instrument in zahlreichen Konzerten vorgestellt, bewundert, erprobt. Es gab eine Uraufführung (ein Werk des Münchner Kompositionsprofessors Robert Maximilian Helmschrott), die neue Orgel wurde in Kombination mit verschiedenen anderen Instrumenten präsentiert, auch als Begleitinstrument für Arien (mit Britta Schwarz). Eröffnet wurde der Hauptteil der Festwoche mit einem Orgelabend eines der wirklich bedeutenden Organisten, von Olivier Latry aus Paris. Und, vielleicht damit sich das Bild rundet, abgeschlossen mit dem Gastspiel eines anderen, wirklich hervorragenden Orgelvirtuosen, von Edgar Krapp aus München (Foto).

Wenn er die Pfeifen besonders eindrucksvoll donnern und brüllen lässt, dann greift er erstaunlicherweise nicht nur zur Barockmusik. Sondern er ließ am Sonntagabend sein Konzert ausgerechnet mit einem Werk Max Regers ausklingen. Eine Barockorgel auf romantischen Abwegen?

In seinem Orgelabend ging es Krapp offenbar besonders darum, zu zeigen, wie vielfältig dieses Instrument einsetzbar ist - trotz seines sehr spezifischen Charakters und seiner historischen Bauart. Obwohl die romantische Literatur im Liebfrauenmünster ja eigentlich durch die sinfonisch klingende Klais-Orgel abgedeckt ist.

Nun, bereits in seiner kurzen Konzerteinführung wies Krapp darauf hin, dass Bachs Musik nicht isoliert betrachtet werden sollte. Der Barockmeister nahm natürlich Anregungen aus der Vergangenheit auf, war aber zugleich ein Visionär. Und große Komponisten späterer Epochen griffen erstaunlich oft auf die Ästhetik des Thomaskantors zurück, spielten auf Bachs Musik an, variierten oder verarbeiteten sie.

So umfasste Krapps Orgelabend fast vier Jahrhunderte. Dabei zeigte sich, dass auf der neuen Orgel im Münster natürlich nichts so gut klingt wie die Kompositionen von Bach. Erstaunlicherweise aber konnten sich gerade ältere Werke, etwa Louis Marchands "Grand Dialogue" in C-Dur oder Georg Muffats "Toccata undecima" in c-Moll, gar nicht so überzeugend im Kirchenschiff entfalten. Allzu leicht verschwammen die verschiedenen Stimmen. Eindrucksvoll war hier allerdings die Vielfalt der unterschiedlichen Klangfarben.

Welche fast orchestrale Urgewalt die Orgel besitzt, demonstrierte Krapp besonders beim "Praeludium a-Moll BuxWV 153" von Bachs Lehrer Dietrich Buxtehude und dann noch deutlicher beim virtuosen "Pièce d'Orgue" von Johann Sebastian Bach: Was für ein gigantischer, abgründiger Orgelsturm am Ende des Stücks!

Mendelssohns Kompositionen, wie die Sonate c-Moll op. 65/2, sind ohnehin ohne Bachs Musik kaum denkbar, und vielleicht auch nicht ohne die Silbermannorgeln. Das trifft auch auf Brahms zu, der die weichen, schwebenden, überirdischen Register liebt - wie etwa das (barocke) Unda maris. Und dann der Reger. Bei aller brachialen Lautstärke, bei aller freien Harmonik, die einem den Boden unter den Füßen wegzuziehen scheint: Auch diese erhabene Passacaglia schien nur eine weitere Variation Bachschen Schaffens zu sein. Ein bewegender, visionärer Ausklang eines großen Konzerts, einer wunderbaren Festwoche, auf einer international nahezu einzigartigen Orgel.

‹ŒFoto: privat