Ingolstadt
Thema verfehlt

"Was ist virtuos" Mottokonzert des Georgischen Kammerorchesters

24.03.2017 | Stand 02.12.2020, 18:25 Uhr

Fantastischer Pianist: Kotaro Fukuma trat mit dem Georgischen Kammerorchester im Ingolstädter Festsaal auf. - Foto: Schaffer

Ingolstadt (DK) Am liebsten würde man beim Abonnementkonzert des Georgischen Kammerorchesters (GKO) am Donnerstagabend nur über die Zugabe des fantastischen Pianisten Kotaro Fukuma schreiben. Denn die überragende Darstellung des Finalsatzes aus Frédéric Chopins 3. Klaviersonate war weit mehr als nur der Höhepunkt eines wenig überzeugenden Konzertabends, sie war fast schon eine Sensation. Man kann sich kaum vorstellen, diesen Satz schon einmal so erschütternd, so leidenschaftlich gehört zu haben.

Der junge japanische Pianist formulierte bereits in den einleitenden Akkorden eine gewaltige Geste, als wollte er damit den ganzen riesigen Satz umrahmen. Und stürzte sich dann ins Geschehen, spielte wogend und besessen, immer weiter vorwärtsdrängend, immer lauter, immer intensiver, bis er bei der letzten, dritten Wiederholung des Hauptthemas, nun wieder in h-Moll, den Steinway aus voller Tiefe orgeln ließ. In der Coda mit ihrem blitzenden Laufwerk schien der Flügel fast zu explodieren, beim Höhepunkt stampfte Fukuma einmal ganz laut mit dem Fuß auf. Der Musikkritiker Joachim Kaiser hat diesen Satz einmal als eine Vorwegnahme von Wagners Walküren-Ritt bezeichnet. Wenn man die hochemotionale, am Ende völlig entfesselte Interpretation von Fukuma hört, dann weiß man, wie treffend diese Aussage ist.

Wie gerne hätte man noch viel mehr Solostücke von Fukuma an diesem Abend gehört. Aber das Programm sah anderes vor. Leider. Denn nicht einmal die Qualität der Kompositionen kamen an diesem Abend auch nur annähernd an das Niveau des Chopins heran. Viel irritierender aber war das Motto des Abends: "Was ist virtuos" lautete das Thema - was für ein Fehlgriff! Sicherlich: Schwere Stücke gab es einige - wie eigentlich bei jedem Konzert des GKO. Virtuosität, im Sinne von manueller Meisterschaft und akrobatischer Grenzüberschrei-tung, die das Publikum hingerissen von den Sitzen springen lässt - die war an diesem Abend fast überhaupt nicht zu finden.

Noch ein weiteres Thema wurde im Programmheft angekündigt, das "Verhältnis zwischen Moderne und Religion". Aber auch hier griff die Programmatik zu kurz. Denn zu oberflächlich wurde dieses schwierige Verhältnis abgehandelt. Das beginnt bereits mit dem Begriff Moderne: Zählen die Werke von Erich Wolfgang Korngold (1897-1957) wirklich zur Moderne? Genügt als Zusammenhang, dass ein Satz aus seiner "Sinfonischen Serenade" den Titel "Lento religioso" trägt? Und dann der Schotte MacMillan. Der Komponist gilt als überzeugter Katholik, aber sein 2. Klavierkonzert hat sicher viel mehr mit der schottischen Volksmusik zu tun, als mit religiösen Überlegungen. Allenfalls Arvo Pärts "Summa", mit dem der Abend eröffnet wurde, ist genuin sakral orientierte Musik. Einfache gregorianisch anmutende Dreiklänge wogten polyfon gebrochen durch das Orchesterrund, von dem estnischen Dirigenten Mihhail Gerts mit bloßen Händen ohne Taktstock gleichsam knetend geformt.

MacMillans Klavierkonzert hingegen ist ein durchaus mitreißendes postmodernes Stilgemisch. Wie in einer Collage werden grundverschiedene musikalische Formen und Stile gegeneinandergesetzt, gebrochen und unterbrochen: der Strom rauschhafter Maschinenmusik im Stile Schostakowitschs wird irritierend gestoppt durch eine Kadenz voller langer Nachklänge. Zitate aus der Romantik und der Barockzeit, rasante Volksmusik-Ein-schübe im schnellen Schlusssatz machen das Werk unterhaltsam, am Ende ein Moment pianistischer Ekstase (diesmal wirklich virtuos gespielt von Kotaro Fukuma). Aber zurück blieb an diesem Abend doch der Eindruck von stilistischem Flickenteppich: schottischer Burg-grusel meets klassische Musik.

An großen Vorbildern arbeitete sich auch Korngold in seiner "Sinfonischen Serenade" ab, reflektierte Tschaikowskys witzigen Pizzicato-Satz aus dessen 4. Sinfonie, griff auf Bruckners Streichquintett und Wagner zurück - und konnte doch niemals so überzeugen wie das Original. Unter der Leitung von Mihhail Gerts spielte das GKO einfühlsam, engagiert, wendig. Ein ordentlicher Abschluss eines wenig überzeugenden Konzertabends.