Ingolstadt
Symphonische Abgründe

Abokonzert des Georgischen Kammerorchesters: Ruben Gazarian dirigiert Werke von Bruckner und Vasks

22.09.2016 | Stand 02.12.2020, 19:16 Uhr

Voller Einsatz: Dirigent Ruben Gazarian dirigiert Bruckner, es spielt das Georgische Kammerorchester. - Foto: Schaffer

Ingolstadt (DK) Seine Hand wird zu einer Klaue. Der Taktstock zu einem Schwert. Ja sogar der ganze Mensch verwandelt sich. Eine Art teuflischer Rabenvogel. Mitten im Scherzo von Anton Bruckners 7. Sinfonie mäht Ruben Gazarian durch das entfesselte Orchester. Kaum zu glauben, dass er diese Macht bändigen kann. Er deutet mit ausgestrecktem Zeigefinger drohend in die Menge, springt, dreht sich und reckt die Faust in die Luft. Gazarian wütet mindestens genauso wie das Georgische Kammerorchester in diesem Spektakel.

Doch vor Bruckners Orchesterorkan erklingen zwei eher leise Werke des zeitgenössischen Komponisten Peteris Vasks (*1946) am Mittwochabend im Ingolstädter Festsaal.

Beide Werke von Vasks sind geprägt von dunklen Abgründen und tiefem Streicherregister. Vasks, selber Kontrabassist, ist ein Meister der Düsterheit und des Schmerzes. "Cantabile" beginnt ebenso wie "Musica dolorosa", die Totenklage auf die eigene Schwester, mit der Bassgruppe. Die Anfangsnote noch vom Kontrabass begleitet, taucht das Cello wie aus dem Nichts auf. Nach und nach setzen die anderen Stimmen ein und mischen sich darunter, das Cello jedoch gibt seine Melodie nie ganz auf. Bei Vasks Kompositionen kann sich Klang nur richtig entfalten, wenn das nötige Kontrabassfundament vorhanden ist. Seine Werke sind voller Dramatik. Der dichte, ruhige Streicherteppich wird zum schmerzerfüllt schreienden Cluster. Die vielen abwärts gleitenden Glissandi verstärken die Trauer und die Verzweiflung.

Gazarian steuert gekonnt durch das wogende Stimmenmeer. Er gibt nicht nach und fordert. Mehr Vibrato, noch dichter, noch mehr Klang. Glühend und stechend ist Vasks Musik. Bis zum Extremum ausdrucksstark. Verzweiflung, Angst, Entsetzen, Pein und Marter. Zerrüttung und Erschütterung. Die Spannung ebbt nur ab, um dann mit noch größerer Kraft zurückzukehren. Sie nagt permanent.

In "Musica dolorosa" erklingt ein Solocello. Es erzählt vom Schmerz aus einem anderen Blickwinkel. Ein Glissando abwärts erklingt, daraufhin Stille. Das Cello beginnt noch einmal, nun mischen sich die übrigen Stimmen darüber, und die Bratschen brechen als Erstes aus dem Klang aus. Es folgt viel Chromatik, viele Seufzer und immer wieder lange, gedehnte Glissandi abwärts. Ein Gleiten in den emotionalen Keller.

Auch Bruckners Sinfonie ist eine Musik der Extreme. Aufgewühlt das Streichermeer und donnernd die Pauke. Entfesselte Macht, ein wahres Inferno. Man braucht dazu kein ganzes Sinfonieorchester. Die Bearbeitung von Eisler, Stein und Rankl nimmt dem Ganzen die Schwere und Masse und macht es durchsichtiger. Das Klavier, das im Scherzo am Anfang anstatt der Trompeten erklingt, wirkt weich. Es werden komplett andere Klangfarben geschaffen. Der Dialog von Klavier, Horn und dem Harmonium ist besonders interessant. Während Gazarian die Klangkaskade anführt, schlängelt sich das Melodienband durch die verschiedenen Stimmen. Bruckner singt mehrere Lieder auf einmal.

Im berühmten zweiten Satz spürt man die gleiche Trauer wie bei Vasks. Eine Wolke der Verzweiflung. Trotz der Bearbeitung ist auch Wagner klar erkennbar. Die Melodie der Hörner erinnert an "Rheingold" und die Sextolen der Streicher an "Tannhäuser". Bruckners Trennung der Register und Klangvolumen geht wohl in der Fassung für Kammerorchester verloren, nicht aber seine Aussagekraft. Denn Ruben Gazarian stemmt sich mit aller Macht gegen die Begrenzung der orchestralen Mittel. Nun wieder zurückverwandelt, holt er wirklich alles aus sich und dem Georgischen Kammerorchester heraus.