Ingolstadt
Romantik ohne Weichzeichner

Valentin Radutiu und Evgeni Bozhanov spielen für den Ingolstädter Konzertverein und das Publikum jubelt

30.09.2016 | Stand 02.12.2020, 19:14 Uhr

Begeisterten das Publikum im Ingolstädter Festsaal: Valentin Radutiu (Violoncello) und Evgeni Bozhanov (Klavier). - Foto: Schaffer

Ingolstadt (DK) Sieht man die Solovioline als Primadonna unter den Streichinstrumenten, als glänzende, virtuose, etwas kapriziöse Sängerin, wer ist dann das Violoncello? Der Tenorheld? Dagegen spricht aber die Sonatenliteratur für Cello, die, zumeist anspruchsvoll und tiefgründig, wenig Gelegenheit zum Strahlen bietet.

Der Auftritt von Valentin Radutiu im Ingolstädter Festsaal zeigte einmal mehr, dass das Instrument eher ein Pendant zu einem lyrischen Bariton ist, gesetzter, reifer, fähig zu reichen Schattierungen, leisen Zwischentönen, ein einsamer Wanderer in poetischen Ausdruckswelten. Dort war auch Johannes Brahms gerne unterwegs, doch bis zu seiner ersten Cellosonate ließ er sich Zeit. In der seltenen Tonart e-Moll steht sie, wie seine letzte, von Schwermut und resignativem Ernst geprägte Symphonie. Tief unten beginnt das melodisch getragene Thema, arbeitet sich nach oben und greift sehnsüchtig aus in lichte Höhen. Die unvergleichliche Jacqueline du Pré begann das mit bereits wunderbar klangsattem Ton.

Radutiu wirkt dagegen fast schüchtern, tastend, mit kleinerem, spröderem, aber obertonreicherem Klang, dann verschwindet er erst mal wie ein fahler Schatten hinter dem Klavier. Aber das ist nur der Anfang einer ungemein fesselnden Interpretation, die wie eine zwar traurige, doch ungemein spannende Erzählung verläuft, immer wieder neue Stimmungslagen beleuchtet und Charaktere entwickelt. Wie subtil Radutiu artikuliert, wie klug er sein großes Farbenspektrum einsetzt!

Mit Evgeni Bozhanov steht ihm ein nicht minder fähiger Klavierpartner zur Seite, Meister eines vielfältigen und durchaus eigenwilligen Anschlags, der markante Akzente setzt und vertikale und horizontale Ebenen der Gesamtarchitektur sehr plastisch gliedert. Atemberaubend die in einem weiten Bogen ausschwingende Coda des ersten Satzes, ein Raum von lichterfüllter Ruhe. Nach dem skurril dahintrippelnden Allegretto legt die Fuge mit hartem, akzentuierten Beat los. Es knirscht zwischen den rasant geführten Stimmen, näher am späten Beethoven als an Bach.

Tschaikowskys für Cello und Klavier arrangierte Lieder haben natürlich weit weniger kompositorische Substanz als Brahms' Sonate. Es ist sehr emotionale, aber leichte, unmittelbar eingängige Lyrik. Aber die beiden servieren sie mit so feinsinniger Delikatesse, dass sie auch den Hörer bei beiden Ohren packen. Man träumt sich durch melancholische Landschaften, spürt die Schwingungen einer poetischen Seele. Die "Nacht" wird zu purem Klangzauber. Mit geradezu magischem Anschlag lässt Bozhanov Töne funkeln wie Sterne auf schwarzsamtenem Grund. Wie mit einem ganz dünnen, silbrigen Faden spinnt Radutiu das letzte Werk an: Rachmaninows große Sonate op. 19. Es ist ein Extremwerk der Spätromantik, geprägt von starken Reizmitteln der Farbgebung und Gefühlsdarstellung.

Man nehme nur das Hauptthema, das sich leidenschaftlich aussingt, von mächtigen Stößen angetrieben oder gar in scharfe Splitter zerhackt wird. Im "Scherzando" stößt eine innige Melodie auf einen motorischen Rhythmus, der voranstürmt wie eine durchgeknallte Dampflok. Diese zerklüfteten Konturen der Form meißeln die beiden mit furioser Härte und Präzision heraus, sie wühlen tief in der russischen Seele, ohne je die Kontrolle zu verlieren: Romantik ohne Weichzeichner.

Radutiu und Bozhanov haben das gewisse Etwas, das diese Musik neu erleben lässt, schon im Einzugsbereich der Moderne. Und zu welchen Ausbrüchen ist das sonst so feinsinnige Cello fähig! Das gänzlich mitgerissene Publikum erjubelt sich noch eine Zugabe, und bei einer Romanze von Tschaikowsky konnten die schlagenden Herzen wieder etwas zur Ruhe kommen.