Ingolstadt
"Plädoyer für Toleranz"

Ingolstädter Theatermacher verstehen Wirbel um schwules Känguru nicht

07.07.2017 | Stand 02.12.2020, 17:49 Uhr

Ulrich Hubs Stück "Ein Känguru wie Du" dreht sich nicht nur, aber auch um das Thema Homosexualität. Das Theater in Baden-Baden musste das Stück jetzt vom Spielplan nehmen. Die Uraufführung fand im Oktober 2014 in Ingolstadt statt. ‹ŒArch - foto: Olah

Ingolstadt (DK) Ein schwules Känguru im Theater sorgt für Diskussionen. Nach Protesten von Eltern und ausbleibenden Besuchern setzte das Theater Baden-Baden Ulrich Hubs Kinderstück "Ein Känguru wie Du" ab. In Ingolstadt kann man das nicht verstehen. Hier wurde das Stück 2014 uraufgeführt. "Ich fand das Thema sehr wichtig für Kinder und junge Erwachsene", sagt Intendant Knut Weber, "denn es geht ja nicht in erster Linie um Homosexualität, sondern um das Anderssein. Um Toleranz." Julia Mayr, die Leiterin des Jungen Theaters, hatte keine Bedenken, das Stück auf den Spielplan zu setzen. Ein Gespräch mit ihr und ihrer Dramaturgin Teresa Gburek, die die Produktion betreute.

Frau Mayr, was sagen Sie zu der Entscheidung des Theaters Baden-Baden, "Ein Känguru wie Du" abzusetzen?

Julia Mayr: Ich kenne die genaue Situation vor Ort nicht, nur die offizielle Version, da ist das natürlich schwierig zu beurteilen. Aber ich kann das nicht wirklich nachvollziehen - also zumindest nicht in dieser Radikalität. Ich hatte in Ingolstadt auch ein Erlebnis diesbezüglich: Die Rektorin einer Grundschule hielt den gewünschten Theatergang für komplett über-flüssig und unangemessen. Ihr Argument: In der Grundschule sei "Schwulsein" überhaupt kein Thema. Die Lehrerin war schließlich trotzdem in dem Stück und erzählte mir von begeisterten Kindern und vielen Diskussionen und Nachgesprächen. Auch die Eltern lobten bei einem Elternabend die Entscheidung, dass die Klasse dieses Stück besucht habe.

 

Wie bewerten Sie Hubs Stück?

Mayr: Das Stück ist thematisch sehr wichtig: Das Wort "schwul" wird auf dem Schulhof unüberlegt als Schimpfwort benutzt. Gerade in dem Alter. Aber viele wissen gar nicht, was es bedeutet. Genau deshalb ist es so wichtig, in diesem Alter anzusetzen. Auf so leichte spielerische Art und Weise, wie Hub das in seinem Stück angeht, ist das nahezu genial.

Teresa Gburek: "Ein Känguru wie Du" ist nicht nur ein Stück über das Schwulsein, sondern vielmehr auch ein Stück über unbegründete Ängste. Am Ende bringt eines der Raubtiere es wunderbar auf den Punkt: "In Zukunft müssen wir uns besser überlegen, vor was wir Angst haben." Es ist ein Stück, das den Kindern die Angst vor einer vermeintlichen "Andersartigkeit" nehmen kann und für Vielfalt, Offenheit und Toleranz plädiert.

 

Wie viele Vorstellungen gab es in Ingolstadt? Und: Mussten Sie mit Lehrern und Eltern oft diskutieren?

Mayr: Um die 31. Gott sei dank blieben keine Schulklassen fern. Wobei wir am Anfang schon etwas Sorge hatten, da es nicht so schnell so ausverkauft war, wie wir das sonst gewohnt sind. Die Lehrer haben ein bisschen gebraucht, sich zu trauen, aber es kamen letztlich dann doch sehr viele. Meine Kollegen und ich haben weder Proteste noch viele Diskussionen mitbekommen. Es gab vielleicht den einen oder anderen Bedenkenträger im Vorfeld - wie beschrieben. Ich denke aber, das konnte die Aufführung stets ausräumen. Das Stück ist leicht und witzig - nicht problematisierend.

 

Wie haben die Kinder die Inszenierung aufgenommen?

Mayr: Die Kinder mochten das Stück sehr, Hub schreibt sich mit seinen schrägen und liebevollen Figuren stets in Kinderherzen.

Gburek: Anders als viele Erwachsene, Eltern, Lehrer vielleicht vermuten mögen, ist Homosexualität schon früh ein Thema im Bewusstsein der Kinder. Wenn sich das Känguru im Laufe des Stückes selbst als schwul bezeichnete, gab es in den Reihen der Kinder immer wieder verschämtes Gekicher. Doch in Gesprächen nach dem Vorstellungsbesuch waren die Reaktionen wesentlich reflektierter. Das spricht dafür, dass dieses Stück Denkprozesse in Gang setzt. Eins meiner liebsten Zitate aus dem Stück: "Die Welt ist bunt. Jeder darf so sein wie er will." Das war für die Kinder absolut schlüssig.  

 

Warum ist ein Theater der richtige Ort, um solch heikle Themen zu verhandeln?

Mayr: Theater ist ein Ort der Diskussion und Auseinandersetzung und kann ein Ort sein, wo man erfahren kann, dass es noch anderes außerhalb der Norm gibt und dass das okay ist. Es gibt unterschiedliche Menschen und unterschiedliche Lebensentwürfe, und nicht das eine oder der andere ist besser oder schlechter. Das soll und muss Theater in meinen Augen immer wieder zeigen.

 

Die Fragen stellte Anja Witzke.