Ingolstadt
Ois leiwand

Seiler und Speer überzeugen in der Ingolstädter Saturn-Arena mit Wiener Schmäh und einer echten Rockshow

26.05.2017 | Stand 02.12.2020, 18:03 Uhr

−Foto: Claus Woelke

Ingolstadt (DK) Irgendwie hat man bei den Liedern von Seiler und Speer ja dieses Bild im Kopf: Zwei Typen, einer mit Gitarre, einer ohne, sitzen auf Barhockern und erzählen Geschichten zu musikalischer Begleitung. Klarer Fall für die Neue Welt. Kann so etwas in einer großen Halle überhaupt funktionieren? Es kann - und wie! Bei ihrem Auftritt am Donnerstag haben Seiler und Speer - mit fünfköpfiger Band im Rücken - eine Stimmung in die Saturn-Arena gebracht, wie sie dort vermutlich seit dem Meistertitel 2014 des ERC nicht mehr geherrscht hat.

Erst einmal gibt es aber belanglosen, harten Rock mit deutschen Texten. Hochdeutschen. "Wir sind Freiraum5 aus Wien", begrüßt der Sänger der Vorband das Publikum, und es ist gut, dass er das dazusagt, das mit der Herkunft, weil man sie der Band überhaupt nicht anmerkt. Da ist kein Wiener Schmäh zu hören oder zu spüren, aber auch so gar keiner.

Das ist bei Christopher Seiler und Bernhard Speer natürlich ganz anders. Auch wenn die eigentlich aus Bad Vöslau kommen, einem Wiener Vorort, der bisher in Österreich am ehesten für sein Mineralwasser bekannt war. Aber Seiler und Speer sind nicht Mineralwasser, sie sind 16er Blech (für Nicht-Wiener: Das ist das Dosenbier aus Ottakring, dem 16. Bezirk, das gerne am Würstlstand getrunken wird). In ihren Texten geht es um das ganz normale Leben mit seinen Tücken, die man als Wiener natürlich mit einer gewissen Gottergebenheit hinnimmt - kannst eh nix mochn. Im Mittelpunkt stehen - wie früher schon bei Wolfgang Ambros oder Dr. Kurt Ostbahn - auch immer wieder die Individuen am Rande der Gesellschaft, die Säufer und die Abgebrannten, die Psychopathen, die "a Leich in da Donau" hinterlassen, die kaputten Familien und die Beziehungsunfähigen. Ein wenig Dialektkenntnis kann natürlich nicht schaden, wenn der Gstopfte im Cabrio fährt, der Kiwara einen Strafzettel ausstellt, sich der Sandler an seiner Hülsn festhält oder wenn ghacklt wird. Letzteres - arbeiten - macht der Wiener an sich offenbar eher ungern - Seiler und Speer haben dafür ein eigenes Liadl namens "I wü ned".

Interessant ist, dass die Texte weiterhin das Wichtigste bleiben, auch wenn Seiler und Speer zusammen mit ihrer fünfköpfigen Band eine wirklich bombastische Rockshow abliefern, für die sich selbst eine 80er-Hair-Metal-Band nicht schämen müsste. Gerade das neue Album "Und weida", das sie fast komplett spielen, hat ja auch die richtigen Songs dafür. "I Was Made" zum Beispiel, bei dem Kiss-mäßig Konfettifontänen ins Publikum geschossen werden. Riesige Wasserbälle dürfen die begeisterten Zuschauer bei "All inclusive" durch die Halle werfen und bei "Sperrstund is" lodern die Flammen wie auf der Fackel von Gunvor - Raffineriemitarbeiter dürften da gleich ans Hackln gedacht haben.

Man hat das Gefühl, es bestehe eine Seelenverwandtschaft zwischen den Ingolstädtern und den Wienern. Viele im Publikum - rund 1700 Besucher sind da, ein paar mehr hätten schon noch Platz gehabt - können bei "Bonnie und Clyde", "Stopp doch die Zeit", "I kenn di vo wo" oder "Weck mi auf" jede Zeile mit Inbrunst mitsingen. Bei "Setz di her" werden brav die Feuerzeuge geschwenkt, dafür wirft Bernhard Speer als Belohnung auch immer wieder T-Shirts ("Leiberl") ins Publikum.

Und dann ist da noch die Sache mit der Gitte. Dieser Name prangt ab und zu in großen Leuchtbuchstaben am liebevoll im Retrostil gestalteten Bühnenhintergrund, der eine leere Bar aus der Fußbodenperspektive zeigt. Die Gitte - das weiß, wer das entsprechende Video kennt - ist die, die mit ihrem Typen Schluss gemacht hat, weil der immer "so heimkommt". "Ham kummst", den ganz großen Hit, gibt's schließlich als erste Zugabe, und jetzt steht die Arena wirklich Kopf. Mit dem gesungenen Wunsch "Soit's leben" und einem weiteren Schuss aus der Konfettikanone entlassen Seiler und Speer das Publikum nach zwei Stunden allerbester Show in die Nacht. Das war wirklich leiwand.

Eines muss man als stolzer Bayer übrigens neidlos zugeben, angesichts von Künstlern wie Seiler und Speer, aber auch Wanda, Bilderbuch, Flut, Granada oder Voodoo Jürgens: Die Österreicher haben derzeit einfach die bessere Musik. Schön, wenn sie damit auch mal nach Ingolstadt kommen.