Ingolstadt
Nichts als die Schönheit der Sprache

Hansgünther Heyme inszeniert am Stadttheater Ingolstadt eine radikal reduzierte Version von Schillers "Maria Stuart"

04.12.2016 | Stand 02.12.2020, 18:58 Uhr

Kampf der Königinnen: Yael Ehrenkönig (Maria, links) und Teresa Trauth in Hansgünther Heymes Inszenierung von "Maria Stuart" am Stadttheater Ingolstadt. - Foto: Klenk

Ingolstadt (DK) Nur ein paar Augenblicke lang reißt der Sprachfluss von Friedrich Schillers Trauerspiel "Maria Stuart" ab. Das ist so erschreckender, weil diese so makellos perfekt gebauten Verse, sonst so unaufhaltsam dahinströmen wie Wasser. Da ist kein Raum für Irritationen, auch in Momenten größter psychischer Katastrophen ist die verbale Brillanz der Theaterfiguren niemals gefährdet. Aber einen Moment lang zerbricht der schöne Schein der Dichtkunst in Hansgünther Heymes Inszenierung im Großen Haus des Stadttheaters Ingolstadt. Wie von einem elektrischen Schlag getroffen taumelt Teresa Traut, die Königinnen-Darstellerin, vom Schreibpult zurück, wie eine Blinde tappt sie orientierungslos durch die düstere Szenerie. Es herrscht totale Stille, es ist, als wäre das Stück vorzeitig abgebrochen. Dann endlich, nach Jahren des Zauderns und Verzögerns, unterschreibt Elizabeth das Hinrichtungsdekret für ihre Konkurrentin Maria Stuart. Nicht aus Überzeugung, sondern weil sie endlich ihre innere Ruhe zurückgewinnen will. Sie vertilge ihre Feindin, sagt sie, und stellt sich dabei vor deren Bildnis, als wollte sie es nicht nur verdecken, sondern auslöschen.

Alles steuert in diesem Stück auf diese Szene der schicksalhaften Entscheidung zu, sie ist ein Zentrum des Dramas. Und Heyme inszeniert sie als Stille, als Sprachversagen. Das ist so bemerkenswert, weil vorher und nachher Sprache nahezu alles ist in dieser Inszenierung. Aber die Konzentration allein auf Verse und Worte ist bei Schiller, dem Großmeister der Formulierungskunst, voller Fallstricke. Die fünfhebigen Jamben, die ausgefeilten Zeilen des Trauerspiels klingen immer irgendwie gut, fast egal wie man sie spricht. Aber sie machen das Drama leicht zum faden Sprachoratorium, zum geleierten Singsang, zum Deklamationserguss. Nur Operngesang ist noch artifizieller.

Aber Heyme ist viel zu klug, um sich in Schillers verbaler Schönheit zu verlieren. Er nutzt die Macht der Sprache, er ist nicht ihr Opfer. Das ist umso wichtiger, als Heymes Inszenierung radikal reduktionistisch ist. Er verzichtet weitgehend auf theatralische Effekte, vermeidet Mätzchen, Manierismen und infantile Gags, wie man sie bei Klassiker-Inszenierungen leider so oft findet. Fast die einzigen Farben auf der Bühne sind die beschmutzten schottischen, englischen und walisischen Flaggen. Ansonsten: eine schwarz gekleidete Maria und eine in weißes Tuch gehüllte Elisabeth sowie graugewandete Adlige, die sich im kerkerhaft glänzenden Schwarz des Bühnenbilds umlauern.

Bei Heyme ist die Sprache alles, und sonst gibt es fast nichts. Man könnte bemängeln, dass hier keine beherrschende Regie-Idee zu finden ist. Dass es an Anspielungen auf die Gegenwart fehlt. Dass nicht so recht klar wird, warum man dieses Stück gerade heute inszenieren sollte. Aber solche Überlegungen treten in den Hintergrund, wenn man sieht, wie atemberaubend genau Heyme seine Schauspieler sprechen lässt, wie präzise er das komplexe Seelenleben der Figuren auslotet. Heyme verlässt sich auf seine Schauspieler, und für die wird die Inszenierung zur Sternstunde.

Da sieht man eine zutiefst an der eigenen Macht zweifelnde und verzweifelte Königin Elisabeth, die selbst in höchstem Zorn noch kindlich-freundlich zu ihren Beratern redet. Ihr gegenüber steht Maria Stuart (Yael Ehrenkönig), fast immer im psychischen Ausnahmezustand. Nach ihrer Begegnung mit Elisabeth explodiert sie fast im Widerstreit zwischen Triumph und Todesangst. Und dann gibt es die zahlreichen Höflinge, Adlige, Berater im Spannungsfeld der starken Frauen. Etwa den verräterischen Leicester, von Enrico Spohn als sich ständig wegduckenden, passiv-aggressiven Feigling gespielt. Oder Pavel Fieber, der den Shrewsbury darstellt und einen natürlicheren Umgang mit Schillers hochgeschraubter Sprache findet als jeder andere Schauspieler an diesem Abend. Dann ist da noch Olaf Danners ewig schlecht gelaunter Burleigh, der verunsicherte Davidson (Felix Steinhardt), der stürmisch verliebte Maik Rogge als Mortimer und viele andere vortreffliche Darsteller: Renate Knollmann als Hofdame Kennedy, Sasha Römisch als Paulet, Ralf Lichtenberg (Okelly), Matthias Zaigler (Melvil), Bastian Bonack (Page).

Alle Figuren sind klar abgezirkelte Charaktere. Alle spielen mit Leidenschaft. Bis zur letzten Szene, wenn Elisabeth verlassen von allen auf der Bühne steht. Und sich angeekelt die weißen Hände abreibt, als wären sie blutbesudelt: eine entfernte Verwandte von Lady Macbeth.

Weitere Aufführungen am 4., 12., 16., 28., 29. Dezember.