Ingolstadt
Nichts als das Leben

Geburtstagsschau: Die Künstlerin Babette Ueberschär in der Ingolstädter Galerie im Theater

19.05.2017 | Stand 02.12.2020, 18:06 Uhr

Foto: DK

Ingolstadt (DK) In dieser Wunderkammer im Untergeschoss ihres Wohn- und Atelierhauses, das nun als "Kleines Museum" zum Besuch lädt, öffnet Babette Ueberschär vorsichtig ein Kästchen - und ach! Weisheitszahn an Weisheitszahn darin, in exakter Reihung neben- und übereinander, kostbar perlig schimmern die Beißer mit ihren Dreierwurzeln, nur einer fällt, wenn auch nur optisch, aus der Reihe: vergoldet.

Zur philosophischen Frage, was vom Menschen übrig bleibt, gesellt sich beim Betrachter freilich eine andere: Wo um Himmels willen bekommt man so viele Zähne her? "Die sammelt mein Zahnarzt für mich", sagt Ueberschär.

Sammeln - ein Hauptbegriff im Werk der Ingolstädter Künstlerin. Ueberschär sammelte schon: Kletten. Samenkapseln. Fahrradschläuche. Gänseflügel. Vogelnester. High Heels. Die ersten eigenen grauen Haare. Sie sammelt immer und überall. Aber nicht alles. Denn um Materialität ist ihr zu tun, um solche, die besonders ist, organisch, haptisch, voller Bedeutung. Was sie daraus macht, ist nun in der großen Ausstellung in der Galerie im Theater zu sehen, die ihr die Stadt zum 70. Geburtstag ausrichtet. Und eben im privaten "Kleinen Museum", das ausdrücklich Teil der Ausstellung ist. "Die hier", sagt sie gerade und deutet auf weitere Holzkästchen mit wundersamem Innenleben, mit Holzfiguren, Wachspenissen, Rosenblättern, mit weiteren Zähnen, "nenne ich meine Altäre". Work in progress, dem sich Ueberschär seit rund drei Jahren widmet "als dreidimensionale Version meiner Stundenbücher". Welche wiederum seit Jahrzehnten interdisziplinär geführte Tagebücher sind, jede (Doppel-)seite darin ein collagiertes Kunstwerk aus Wort, Zeichnung, Material.

Natürlich sind die "Altäre" auch in der Theatergalerie vorhanden, und mit ihnen alles andere: die (Material-)Objekte und Installationen, die aufgeschlagenen Stundenbücher in Vitrinen, dazu Malerei. Gleich rechts der Eingangstür eine Reihe aufgehängter schwarzer Formen, wirkend wie Folteropfer oder tot. 18 Puppenkörper, die Ueberschär in dunklen Strickstoff hüllte - vielleicht, so sagte sie zur Vernissage, habe ein Zeitungsbericht, dass jedes fünfte Kind missbraucht werde, sie zu "Darkroom Nr. 5" inspiriert, aber genau wisse sie das nicht. Denn so arbeitet die Künstlerin: Intuitiv nimmt sie auf, intuitiv setzt sie um, Letzteres freilich ohne Zufälligkeit und Beliebigkeit. Stringent sind ihre Objekte: die erleuchtete Vitrine, gefüllt mit aus Transparentpapier abgeformten Puppentorsi ("The Present"), das Eisenbett mit den papiernen Diakonissenhauben ("Care"), die Wandinstallation aus winzigsten gekneteten Tonfiguren ("line, we all are the People"), entstanden nach dem eben absolvierten New-York-Besuch mit seinen vielen Menschen.

An den Wänden ebenfalls: zeichnerische Collagen, oft zu literarischen Themen, zu Büchners "Woyzeck" etwa ("Marie ist keine Schlampe"), zu Bachmanns "Malina" oder zu Marieluise Fleißer; das kommt nicht von ungefähr. Weil Ueberschär Literatur liebt und kennt, aber auch, weil das Weibliche eins ihrer Themen ist: Man erinnere sich nur an die Kugel aus Stöckelschuhen ("Opferkugel"), mit denen sie bereits 2003 Furore machte. Auch in den Stundenbüchern mit ihren komplexen Assoziativerzählungen schlägt sie solche Themen auf, sehr privat, sehr abstrakt, immer verbunden mit der Gegenwart und mit der Welt. "Daslebenselbst" hat sie, die wie jeder ernsthafte Kunstschaffende nicht trennt zwischen dem Ich, Gesellschaft und künstlerischem Tun, die Schau schließlich genannt.

Doch zum Leben gehören Altern und Tod. Es fällt auf: Für Ueberschär ist das nun ein Thema. Zeichnerisch stellt sie sich dem Vergehen in der vierteiligen Arbeit "Kindheit, Jugend, Alter, Tod", anderswo gibt Stickerei auf Büttenpapier dem roten Sensenmann ein Herz. Und ausgerechnet an der Stirnwand prangt ein malerisches Triptychon mit knochenschädeligen Gesichtern. "Komm süßer Tod" hat es Ueberschär genannt. Zwar ist nichts süß an diesem Bild. Gelassen aber zuckt die Künstlerin daheim im "Kleinen Museum" die Schultern. "Manchmal denk ich, nein, nicht schon wieder dieses Thema", sagt sie. "Aber es kommt, und ich setze es um."

Die Ausstellung in der Theatergalerie ist bis 11. Juni, Do bis So 11 bis 18 Uhr, zu sehen. Jeden Samstag um 16 Uhr führt die Künstlerin durch die Schau. Das "Kleine Museum" ist nach Anmeldung unter Telefon (08 41) 468 64 geöffnet.