Ingolstadt
"Mir hat keine Interpretation wirklich gefallen"

17.04.2015 | Stand 02.12.2020, 21:24 Uhr
Daniel Behle: »Einen ganzen Abend den Fokus des Publikums auf sich und den Pianisten zu halten, ist eine große emotionale Aufgabe. −Foto: Borggreve

Ingolstadt (DK) Für den Hamburger Tenor Daniel Behle ist Franz Schuberts Liedzyklus „Die schöne Müllerin“ eine Art Vier-Personen-Drama für einen Sänger – die 20 Lieder werden üblicherweise ohne Pause und Zwischenapplaus gegeben.

Daniel Behle erläutert seine Interpretation: „Der Bach ist für mich lebendige Natur. Der Müller wandert im Einklang mit diesem durch die Welt. In die Konkurrenz des Baches tritt nach kurzer Zeit die Müllerin und in die Konkurrenz des Müllers etwas später der Jäger. Am Ende dieses Beziehungsdramas stirbt der Müller und der Bach nimmt diesen in sich auf“. Am kommenden Donnerstag wird Behle den Zyklus zusammen mit dem Pianisten Sveinung Bjelland im Ingolstädter Festsaal vortragen. Im Interview mit unserer Zeitung erzählt Behle, wie er zum Gesang kam und warum er auch komponiert.

 

Stört es Sie eigentlich, dass Sie immer wieder mit der Tenor-Legende Fritz Wunderlich verglichen werden?

Daniel Behle: Er ist ein großartiger Sänger. Es gibt doch nichts Schöneres, als mit ihm verglichen zu werden.

 

Sie sind Opernsänger, fast noch mehr Erfolge haben Sie allerdings als Liedsänger. Muss man an einen Liederabend anders herangehen als an eine Opernrolle?

Behle: Auf der Bühne singe ich momentan Strauss und Mozart. Da ist die öffentliche Wahrnehmung schon mal von Grund auf eine andere. Als Liedsänger bin ich dazu vielleicht etwas bekannter, weil ich mehrere CDs aufnehmen konnte. Mir liegt aber an beidem, und ich glaube, dass es auch unglaublich wichtig ist, beides zu kennen und zu können, um ein guter Liedsänger oder Opernsänger zu sein.

 

Aber was ist der Unterschied, wenn man in Opern auftritt oder einen Liederabend gibt?

Behle: Ein Liederabend ist sicher der intimere Auftritt. Einen ganzen Abend den Fokus des Publikums auf sich und den Pianisten zu halten, ist eine große emotionale Aufgabe. Bei der Oper kann man zwischendrin auch mal durchatmen.

 

Lieben Sie es denn, auf der Bühne eine Rolle zu verkörpern?

Behle: Auf jeden Fall. Es ist befreiend – oft allerdings auch eine große Herausforderung, in dem von der Oper vorgegebenen musikalischen Korsett die Glaubwürdigkeit in seiner Rolle zu bewahren. Das ist bedeutend schwieriger als im Schauspiel, wo das Tempo vom Darsteller angepasst werden kann, wenn er es möchte. Bei der Oper läuft die Musik, und das Tempo macht der Dirigent.

 

Sie sind ein lyrischer Mozart-Tenor. Kürzlich hat Jonas Kaufmann eine CD mit Schuberts „Winterreise“ herausgebracht, gesungen eher mit schwerer Wagner-Stimme. Welche Stimme passt am besten zu einem Liederzyklus?

Behle: Das ist Geschmackssache. Stimmen entwickeln sich bei einer guten Technik weiter, und so ist es auch möglich, leichtere Musik mit einer schweren Stimme zu singen. Ich bevorzuge aber die weniger veristische Variante. Gerade bei der „Winterreise“.

 

Sie haben 2010 eine CD-Aufnahme der „Schönen Müllerin“ produziert. Haben Sie sich vorher andere Aufnahmen angehört?

Behle: Da sprechen Sie einen heiklen Punkt an. Mir hat keine Interpretation wirklich gefallen. Deswegen habe ich damals diese Aufnahme gemacht. Zusammen übrigens mit „Auf dem Strom“. Ein selten gespieltes achtminütiges Stück von Franz Schubert für Tenor, Klavier und Waldhorn. Ein wunderbar passender Epilog zur schönen Müllerin. Bei vielen Aufnahmen fehlte mir der Kern in der Stimme der jeweiligen Sänger. Außer bei Fritz Wunderlich hatte mich nichts berührt, und bei Wunderlich war es halt diese komische, unzeitgemäße Textbehandlung. Da dachte ich, es würde sich lohnen, selbst eine Aufnahme zu versuchen.

 

Bevor Sie Sänger wurden, haben Sie Posaune und Komposition studiert. Wie haben Sie doch noch zum Gesang gefunden?

Behle: Wichtig war für mich immer, Musik zu machen. Aber mir war nicht klar, wie man damit Geld verdienen soll. Ich habe also lange Zeit gesucht. Ich spielte viel Klavier, Cello, Posaune, arrangierte und komponierte. Nur das Singen stand nie zur Debatte, da meine Mutter Sängerin war, und ich es mir irgendwie nie vorstellen konnte, das auch noch zu versuchen. Nach dem Tod meines Vaters 1996 lehrte mich meine Mutter dann schließlich das Singen. Eine Art Familientherapie zu Beginn und später dann wesentlich ernsthafter mit täglichem Unterricht über ca. zwei Jahre.

 

Ist es ein Vorteil, nicht nur Sänger, sondern auch Komponist und Posaunist zu sein, wenn man auf der Bühne steht?

Behle: Heute gibt es viele wirklich gute Sänger. Wenn man einen tieferen Einblick in die Partitur hat, wenn man weiß, was unter der Oberfläche abgeht, dann ist das sicher ein Vorteil. Wenn man sich mit Harmonien und Kompositionstechniken auseinandersetzt, dann gewinnt die Interpretation noch mal anders, als wenn man nur über den Text geht. Aber es kann auch blockieren. Alles kann ein bisschen verkopft wirken. Dass ich Posaune studierte, bevor ich mit dem Singen begann, hat sicherlich meiner Atmung geholfen.

 

Komponieren Sie heute noch?

Behle: Ja, eigentlich recht viel. Ich habe gerade Schuberts „Winterreise“ für Klaviertrio bearbeitet. Die Doppel-CD ist 2014 bei Sony erschienen. Das „Hamburg Album“ ist praktisch fertig. Das sind 18 Opern- und Operettenbearbeitungen und Kompositionen von mir, mit verändertem Text über meine Heimatstadt. 2016 geht es ins Studio.

 

In welcher Tradition komponieren Sie?

Behle: Bei mir gibt es immer noch den Wunsch nach Form, Tonalität und Melodie. Ich denke, das kann auch 2015 noch spannend sein. Vier große Komponisten, die mich während meines Studiums intensiv begleitet haben, sind Alban Berg, Gustav Mahler, Dmitri Schostakowitsch und Richard Strauss. Ich komponiere irgendwie dazwischen.

 

Die Fragen stellte

Jesko Schulze-Reimpell.

 

Konzertverein Ingolstadt, 23. April, 20 Uhr, Ingolstädter Festsaal. Kartentelefon: (08 41) 8 81 57 98. Um 19.15 Uhr gibt Jörg Handstein im Konferenzraum des Theaters eine Konzerteinführung.