Ingolstadt
"Man darf das Publikum nicht unterschätzen"

25.07.2014 | Stand 02.12.2020, 22:25 Uhr

Eine Vision wird Realität: Simona Kochs Fotoserie „Stadt“ illustriert eine Utopie – keine Autos, kein Asphalt, dafür Wildnis und Nutzpflanzen im urbanen Raum. Für den Spielzeitauftakt „Ins Offene“ am 20. September wird sich das Gelände rund ums Stadttheater in eine grüne Insel verwandeln. Das Maisfeld vor dem Theater, in dem Intendant Knut Weber steht, wurde extra dafür gepflanzt. - Foto: Hauser

 Ingolstadt (DK) An diesem Samstagabend geht die letzte Vorstellung des „Mannes aus La Mancha“ über die Freilichtbühne im Turm Baur. Es ist die 655. dieser Spielzeit. 460 Vorstellungen im Abendspielplan, 195 im Jungen Theater. 143 000 Zuschauer insgesamt, Platzausnutzung: 82,39 Prozent. Eine hervorragende Bilanz von Knut Webers (61) dritter Spielzeit in Ingolstadt, die unter dem Motto „Glück“ stand. Das sah auch der Stadtrat so, der gerade Webers Fünf-Jahres-Vertrag um weitere drei Jahre verlängerte.

Aber es war auch eine Spielzeit mit großen Herausforderungen. In der Regel gilt die zweite Spielzeit einer Intendanz als die anstrengendste, für Weber war es die dritte. "Weil einfach so viel zusammengekommen ist", sagt er.
 

Freuen Sie sich auf die Theaterferien?

Knut Weber: Ich brauche die Theaterferien zur Erholung, aber ich freue mich unglaublich auf den September. Wir starten mit spannenden Großprojekten. Mit dem fantastischen Theaterspaziergang „Ins Offene“. Mit dem Spielzeit-Cocktail. Mit „Ein Mann, zwei Chefs“ im Großen Haus und den deutschen Erstaufführungen „Foxfinder“ und „Grillenparz“. Mit einer hochinteressanten Produktion im Studio – Coline Serreaus „Sommersalon“ – und einer Uraufführung von Ulrich Hub im Jungen Theater. Das ist eine Spielzeiteröffnung, die sich sehen lassen kann.

 

Aber Sie wirken schon, als hätten Sie Urlaub dringend nötig.

Weber: Ja, ich bin müde. Weil einfach so viel zusammengekommen ist. Dieser ganze Entscheidungsprozess, wie es mit der Sanierung des Hauses weitergeht, zehrt schon an einem. Aber auch die künstlerische Arbeit. Ich bin sehr zufrieden mit der Spielzeit. Aber es war auch ein Kraftakt. Ich bin mir schon bewusst, was wir den Abonnenten in dieser Spielzeit zugemutet haben – mit Kresnik, Alice, Jelinek und Crimp. Umso stolzer macht es mich, dass wir die Zuschauerzahlen trotzdem halten konnten – ohne auf pure Unterhaltung zu setzen. In vielen Gesprächen mit Abonnenten haben wir Bestätigung erfahren. Die Erkenntnis dieser Spielzeit: Man darf das Publikum nicht unterschätzen, man darf es auch fordern. Die Leute setzten sich ernsthaft damit auseinander, was auf der Bühne passiert. Das wirkt nach. Und das ist ein wichtiger Grund, warum ich Theater mache.

 

Was war die größte Herausforderung in dieser Spielzeit?

Weber: Die Spielzeiteröffnung mit den „Geheimen Gärten“ – allein finanziell und logistisch war das ein Kraftakt des ganzen Hauses. Künstlerisch war es der Fleißer-Abend von Johann Kresnik. Gerade zum Spielzeitanfang war das nicht unriskant. Aber unterm Strich ist es aufgegangen – auch wenn es kritische Stimmen gab. Aber das war ja klar, wenn man Kresnik verpflichtet.

 

Wie wird die vierte Spielzeit?

Weber: Locker. Leicht von der Hand gehend. (Er lacht.) Im Ernst: Die Vorbereitungen laufen nicht schlecht an. Der Spielplan ist charmant, aber nicht unverbindlich. Und es gibt Autoren, die wir hier noch nie gezeigt haben. Eine gute Balance zwischen Unterhaltung und inhaltlichem Anspruch. Vielleicht sind wir jetzt erst richtig in Ingolstadt angekommen.

 

Auch die nächste Spielzeit „Ins Offene“ legt den Fokus auf die Zeitgenossenschaft.

Weber: Autoren, die heute schreiben, haben besser unsere Wirklichkeit im Blick und einen anderen Zugriff auf die Gegenwart. Aber ich bin auch ein großer Klassikerfreund und finde natürlich, dass Stücke wie „Faust“, „Die Räuber“, „Nathan der Weise“ oder „FrühlingsErwachen“ in den Kanon gehören. Nicht zuletzt für die Schulen muss man diesen Kanon pflegen. Wir werden in den verbleibenden Spielzeiten verstärkt darauf eingehen.

 

Also jede Saison ein Shakespeare-Werk?

Weber: Nicht immer Shakespeare. Aber vielleicht wieder mehr Lessing und Goethe – die deutschen Klassiker.

 

Gibt es noch einen „Faust“ in Ihrer Intendanz?

Weber: Wie lange ist der Letzte in Ingolstadt her?

 

Zehn Jahre.

Weber: (Lacht.) Kann gut sein.

 

Sie haben großen Erfolg mit Ihrer Art, das Theater in die Stadt zu tragen, Kulturinstitutionen zu vernetzen. Auch überregional gibt es viel Anerkennung. Hat Sie deshalb das schlechte Ergebnis der Mitarbeiterbefragung im Theater überrascht?

Weber: Die Stimmung ist eigentlich gut, deshalb war es schon überraschend. Man muss aber auch wissen, dass nur 29 Prozent der Mitarbeiter überhaupt mitgemacht haben. Und kein einziger Schauspieler. Von 180 Mitarbeitern sagen 30, dass an ihrem Arbeitsplatz Verbesserungen notwendig sind. Weil ich wissen will, wo genau die Probleme liegen, habe ich alle Mitarbeiter dazu ermutigt, zu den Gesprächen mit dem unabhängigen Mediator zu gehen. Generell halte ich diesen Fragebogen aber für das Theater ungeeignet. Er hat mit unserem Alltag überhaupt nichts zu tun. Er ist auf ganz andere Arbeitsbereiche zugeschnitten.

 

Es gibt Unmut über zu hohe Arbeitsbelastungen.

Weber: Fakt ist, dass wir viel machen. Ich bin angetreten mit einer bestimmten Vorstellung von Theater, auch davon, wie ich Theater in die Stadt bringen will. Diese Vorstellung setze ich um. Das ist auch von der Stadt gewollt. Natürlich ist es meine Aufgabe, dabei möglichst viele mitzunehmen. Und ich denke, das gelingt auch. Aber ich fordere beispielsweise seit Langem zwei Techniker-Planstellen. Vergeblich. Wenn ich zusätzlich Personal benötige, muss ich sie aus dem Künstleretat bezahlen.

 

Die Lösung heißt also: Mehr Planstellen oder die Produktion zurückfahren?

Weber: (zögert.) Eigentlich ja. Aber ein Zurückfahren widerstrebt mir sehr.

 

Wenn wir schon bei den Kosten sind: Ist der Mindestlohn ein Thema in Ihrem Haus?

Weber: Ja. In Bezug auf Praktikanten stellt er für uns ein echtes Problem dar. Nicht, dass Sie mich falsch verstehen: Ich bin für den Mindestlohn. Es war höchste Zeit. Aber für die Praktikanten hätte ich mir eine andere Regelung gewünscht. Derzeit haben wir fünf Praktikanten im Haus. Aber wenn wir künftig einen Praktikanten auf Mindestlohnbasis einstellen, dann verdient er fast so viel wie ein Anfänger. Das können wir uns nicht leisten. Wir wissen noch nicht genau, wie wir darauf reagieren.

 

In dieser Spielzeit ist endlich die Entscheidung über die Ausweichquartiere gefallen. Sind Sie zufrieden mit der Lösung?

Weber: Ja. Ein Neubau ist besser als jede provisorische Lösung. Er ist nachhaltig. Ich habe schon immer für einen Neubau plädiert – es gab lediglich die Frage des geeigneten Standorts. Der ist nun gut gewählt. Das Junge Theater soll während der Sanierung in die Exerzierhalle – zusammen mit dem Kleinen Haus. Ich möchte die Reithalle als Produktionsstandort und Werkstätten nutzen und das Areal neben der Reithalle für den Neubau. Der Neubau wird temporär genutzt für das Große Haus und dann fest für das Kleine Haus. Das Junge Theater zieht nach der Sanierung wieder zurück. Die Halle 8, ursprünglich mal als Spielort für das Kinder- und Jugendtheater im Gespräch, ist für uns kein Thema.

 

Sie können also beruhigt in die Sommerpause gehen. Was machen Sie und was nehmen Sie als Urlaubslektüre mit? Hölderlin-Gedichte – passend zum Motto der nächsten Spielzeit?

Weber: Wir haben zwei Wochen Bretagne und eine Woche Osttirol gebucht. Da werde ich viel Zeit zum Wandern und Lesen haben. Ich werde mich ganz sicher mit Fragen der Urbanität auseinandersetzen – schon als Vorbereitung auf unsere Podiumsdiskussion über die „Zukunft der Stadt“ am 9. November. Und dann sind da noch zwei Meter Bücher, die ich alle noch nicht gelesen habe.