Ingolstadt
Vorbild Linz

Eine Podiumsdiskussion des DONAUKURIER zum neuen Museum auf dem Gießereigelände zeigt: Kultur ist ein wichtiger Standortfaktor

08.06.2016 | Stand 02.12.2020, 19:42 Uhr

Foto: Martina Persy

Ingolstadt (DK) Alle auf dem Podium, das stellt sich schnell heraus, kennen Linz. Der Ingolstädter Kulturreferent Gabriel Engert "ziemlich gut sogar". Die Leiterin des Museums für Konkrete Kunst, Simone Schimpf - hat die Stadt doch eines der wichtigsten Museen zeitgenössischer Kunst in Österreich.

Der Eichstätter Uni-Professor und Tourismusexperte Harald Pechlaner, der überzeugend erklären kann, dass "die Zukunftsfähigkeit einer Stadt sich auch dadurch entscheidet, wie Kunst und Kultur verankert sind". Der Tubist und Kabarettist Andreas Hofmeir, der vier Jahre in der Stadt lebte und deren kulturelle Atmosphäre lobt. Und natürlich auch der Leiter der DONAUKURIER-Kulturredaktion, Moderator Jesko Schulze-Reimpell: "Ein Paradebeispiel für eine Stadt, die sich mit Kultur herausgearbeitet hat", sagt er. Ein Vorbild also für Ingolstadt, das soeben mit dem offiziellen Baubeginn für das neue Museum für Konkrete Kunst und Design einen wichtigen Schritt in Richtung Kulturstadt tat, wie alle bestätigen? Der Ingolstädter Architekt Peter Hägel, ebenfalls Podiumsmitglied, stellt schnell fest, Ingolstadt sei noch "weit weg vom Niveau von Linz".

Wie eine Vision jedenfalls liegt das Schicksal der österreichischen 200 000-Einwohner-Gemeinde über der Podiumsdiskussion zum Thema "Ein neuer Museumsbau für Ingolstadt - Eine Chance für die Region", die der DONAUKURIER und das Museum für Konkrete Kunst am Tag der Grundsteinlegung für das neue Museum auf dem Gießereigelände gemeinsam veranstalteten. Von einer reinen Industriestadt mit schlechter Luft und schlechtem Ruf hat sich Linz in 30 Jahren grundlegend wegentwickelt, verfügt heute mit Ars Electronica, Lentos Museum und Brucknerhaus über bedeutende Kulturzentren und trägt seit 2009 den Titel "Kulturhauptstadt Europas". Möglich geworden ist das alles durch eine entschlossene Aktion von heimischer Wirtschaft, Politik und Bürgertum. "Weil alle es wollten, hat sich die Stadt so entwickelt", sagt Hofmeir. Kann Ingolstadt das auch?

Am "Wollen" des Bürgertums jedenfalls besteht kein Zweifel. Über 100 Zuhörer haben, trotz herrlichsten Biergartenwetters, den Weg zur Diskussion im Café Reimanns gleich neben der Gießereihalle gefunden, auch die vorherige Führung durch die Halle war ausgebucht. Im Publikum einige Stadträtinnen hauptsächlich der roten und grünen Fraktionen, von der obersten Stadtspitze freilich ist niemand da. Auch wenn die immer wieder indirekt angesprochen wird. Als Gabriel Engert betont, wie viel man für die Kultur in der Stadt tue, kontert Hofmeir direkt. "Ich glaube ja nicht, dass das Kulturamt die Institution ist, die die Kreativität knechtet. Das ist eine Entscheidungsebene, die über der Ebene des Kulturamts liegt." Engert darauf diplomatisch: "Das ist ein weites Feld."

Es ist einer der wenigen Momente an Dissens in dieser spannenden, eineinhalbstündigen Diskussion. Denn im Grund ist man sich einig: Dass Museen heute die "Flaggschiffe einer Gesellschaft sind" (Engert). Dass ein Museum für Konkrete Kunst und Design bestens zur Technik- und Industriegeschichte Ingolstadts passt und die große Chance auf "etwas Eigenes" (Hägel) bietet - "Design könnte die Kernkompetenz von Ingolstadt werden", findet auch Pechlaner. Dass "Kreativität ein Standortfaktor" ist, Wirtschaft und Kultur sich zusammenschließen müssen und diesbezüglich hier "noch viel zu tun" sei. Das Museum: Ein guter Anfang, finden alle.

Natürlich kommt auch die Architektur des Gebäudes zur Sprache, der Entwurf des Wiener Büros Querkraft - Architekt Peter Sapp ist übrigens nach der Grundsteinlegung wieder abgereist und also nicht dabei. Ihm entgehen so das einhellige Lob für seine Pläne und die zweite Meinungsverschiedenheit des Abends. Denn wie bekannt, hat der Stadtrat erst vor Kurzem das "Lichtband", einen verglasten Bodenschlitz neben dem Gebäude und "zentrales Gestaltungselement", gekippt. "Da wird Architekturqualität demoliert", ärgert sich Hägel - eine Meinung, die auch später bei den angeregten Gesprächen nach der Diskussion zu hören ist. Dagegen vertreten der Kulturreferent und die Museumsdirektorin wenig überraschend die Ansicht der Stadt als ihrer obersten Dienstherrin: Das Band hätte nicht funktioniert. "Ich weiß das aus Stuttgart", sagt Simone Schimpf, "wo unser Museum ein solches Band hatte, das wir schließlich für viel Geld schließen mussten." Vandalismus, kleine Unfälle, hereinlaufendes Wasser - "das sind simple pragmatische Argumente", kontert Hägel. "Aufgabe wäre doch, das Band so zu bauen, dass es diesmal funktioniert." Applaus im Publikum. Den gibt es an diesem Abend immer wieder, vor allem für die vielen Appelle der Podiumsteilnehmer, dem Bildungsauftrag Kultur gerecht zu werden, Wirtschaft und Kultur besser zu verzahnen und die Stadt weiterzuentwickeln, wie einst Linz das tat.

Wird das gelingen? Wo wird Ingolstadt in 20 Jahren stehen? Zu dieser letzte Frage des Moderators Jesko Schulze-Reimpell gibt es Visionen. Musiker Hofmeir wünscht sich ein symphonisches Orchester, Museumsdirektorin Schimpf sieht ein lebendiges Museums-Kreativviertel vor sich, und Touristexperte Pechlaner verheißt: "In 20 Jahren haben auch die umliegenden Gemeinden das Gefühl, dass Ingolstadt in Sachen Kultur die Speerspitze ist, die wir brauchen." Wieder Applaus. Freilich: "In 20 Jahren wird der Baustopp fürs MKKD gerade aufgehoben", spottet einer leise im Auditorium.