Ingolstadt
Leicht getrübter Gleichklang

Das Leipziger Streichquartett und die Bratscherin Barbara Buntrock gastieren mit neuem ersten Geiger beim Konzertverein Ingolstadt

21.04.2016 | Stand 02.12.2020, 19:56 Uhr

Expressive Musizierlust: Das Leipziger Streichquartett und Barbara Buntrock spielen Mozart, Bruckner und Schumann. - Foto: Schaffer

Ingolstadt (DK) Streichquartette sind eingeschworene Gemeinschaften. Ihr wesentliches Qualitätsmerkmal ist die Fähigkeit der Interaktion, ihr Geschäftsmodell musikalischer Gleichklang. Jahrelange gemeinsame Arbeit ist meist die Voraussetzung für überragenden Erfolg. Da ist es ein Problem, wenn eine der vier Positionen neu besetzt werden muss. Und sogar schockierend ist es, wenn die Umstände dabei so tragisch sind wie im Falle des Leipziger Streichquartetts. Denn der bisherige Primarius des Quartetts, Stefan Arzberger, muss sich in New York derzeit einer Anklage wegen Mordversuches stellen. Die Umstände dabei sind dubios, vieles spricht dafür, dass dem Geiger nachts K.-o.-Tropfen von einer kriminellen Prostituierten eingeflößt wurden, woraufhin Arzberger nackt durch die Gänge seines Hotels irrte und schließlich eine 64-Jährige fast erwürgte. An die Vorfälle konnte er sich danach nicht mehr erinnern.

Im Dezember hat sich das Quartett von Arzberger getrennt, seit Januar hat der ehemalige Geiger des Petersen-Quartetts, Conrad Muck, dessen Position übernommen. In rund 25 Jahren seines Bestehens ist das erst die zweite Umbesetzung beim Leipziger Streichquartett.

Dem Ensemble merkt man die Neubesetzung an. Muck, der bei allen drei an diesem Konzertvereinsabend vorgetragenen Quartetten den bei Weitem wichtigsten Part übernehmen musste, scheint sich noch nicht völlig integriert zu haben. Hin und wieder haperte es im Zusammenklang, ähnliches Passagenwerk wurde leicht unterschiedlich phrasiert. Vor allem aber hatte Mucks Spiel einen anderen Duktus, ist vehementer.

Das fiel vor allem bei Mozarts todtraurigem g-Moll-Quintett KV 516 auf, das die Leipziger zusammen mit der Bratscherin Barbara Buntrock aufführten. Bis auf den Schlusssatz wirkt dieses Stück wie ein einziger großer Klagegesang der ersten Violine. In seinem milden Duktus, seinem gebremsten Aufruhr im Menuetto, dem weichgezeichneten Adagio und schließlich der Dur-Emphase im Schlusssatz gelang das den fünf Musikern auch ausgezeichnet. Allerdings hätte gerade Muck die überaus schwierig zu spielende erste Geige mit ruhigerer Bogenhand mit etwas mehr Intonationssicherheit ausführen sollen.

Besser gelang das einfacher gestrickte Schumann-Quartett in A-Dur op. 41. Die süffigen Themen, vor allem aber die ständigen, sich steigernden Motivwiederholungen, führten die vier Musiker mit geradezu manischer Intensität aus. Das war nicht nur mitreißend, sondern fast schon morbide gebrochen.

Der Höhepunkt des Konzertabends im Ingolstädter Festsaal kam nach der Pause mit Bruckners einzigem bedeutenden Kammermusikwerk: dem Quintett in F-Dur. Der Österreicher ist in erster Linie ein Sinfoniker. So verwundert es nicht, dass sein Quintett wie eine Sinfonie im Kammermusikformat daherkommt mit seinen blockhaften Themengruppen, den Kraftbündelungen in den Generalpausen, den ständig variierten Motiven. Ein echter Bruckner. Wenn da nicht der langsame Satz wäre. Er gehört zum Besten, was je von Menschenhand erschaffen wurde. Elegische Themen, bei denen bereits nach zwei Tönen so stark moduliert wird, dass man die tonale Orientierung zu verlieren droht.

Die Leipziger und Barbara Buntrock musizierten das so ergreifend, so abgeklärt und expressiv, so atmend, dass man aus dem Staunen nicht herauskam. Vielleicht hat das auch damit zu tun, dass dies das einzige Werk am Abend war, in dem sich die Musiker in einem freien musikalischen Gespräch befanden und nicht dominiert wurden von der ersten Geige. So spürte man bei diesem Werk am deutlichsten, dass im Festsaal eins der bedeutendsten und tiefsinnigsten Quartette unserer Zeit gastierte.