Ingolstadt
Kraftvoll und bildgewaltig

07.10.2013 | Stand 02.12.2020, 23:35 Uhr

 

Ingolstadt (DK) Es ist ein veritabler Coup: Erstmals ist die Sammlung Tom Bibers öffentlich zu sehen. 120 Werke der Gegenwartskunst erzählen unter dem Titel „Apokalyptik als Widerstand“ davon, wie Künstler sich ab Ende der 1990er Jahre mit Gegenwart und Vergangenheit, mit Mythen, Traditionen, Religion, dem Verhältnis der Geschlechter und den neuen Medien auseinandersetzen: kritisch, poetisch, fantastisch-surreal, humorig, expressiv-farbig, sachlich-monochrom, in Fotografie, Malerei, Plastiken, Tintendruck, Grafik, Computerprint, Mischtechnik, mit Skulpturen aus Holz, Stein, Wachs, Kunststoff, in der Materialfülle und Ausdrucksvielfalt künstlerischer Geistigkeit.

Gemeinsam haben der aus Ingolstadt stammende und in Berlin lebende Tom Biber und Museumsleiter Reiß die Werke auf sieben Gewölbe im Reduit Tilly verteilt und eingeteilt in Zeit- und Themenräume, die auch den Erwerb der Kunstwerke erzählen. Denn Bibers Sammeln ist eine Kunst für sich. Die wenigsten Werke hat der 1966 Geborene gekauft, schon gar nicht auf Biennalen oder in angesagten Galerien. Vielmehr hat der Ingolstädter nach seinem Abitur am Apian-Gymnasium einen eigenen Weg gefunden, den Blick für Kunst geschult: Ende der 80er in Graz (Steirischer Herbst), dann in München, Köln (Galerie Christian Nagel) und Ende der 90er Jahre eben in Berlin, als die Stadt anfing, zur Metropole junger Kunst zu werden, gelangten Werke in seinen Besitz wie die von Thomas Zipp, Andy Hope 1930, Franziska Hufnagel, Markus Selg oder Jonathan Meese, bevor diese international bekannt wurden. Bibers Kriterium war und ist noch immer nicht die x-te Grafik, um kunsthistorisch etwas zu belegen. Es sind die Inhalte, die er im Werk sieht oder im Gespräch, im geistigen Austausch mit den Künstlerinnen und Künstlern entdeckt. Tom Biber hat die Werke teils als Geschenk erhalten, für wenig Geld erworben oder für den Gegenwert seiner Kochkünste. Heute sind die Werke teils das Zehnfache Wert.

Die Auswahl, rund ein Drittel seiner Sammlung, passt so gut an diesen für Kunst ungewöhnlichen Ort des Armeemuseums, teils ähneln sie dessen Objekte. Sie verhandeln handwerklich perfekt, künstlerisch raffiniert, zu Assoziation und Reflexion auffordernd das Ringen um Macht, erinnern an Krieg, fragen nach Zeitläufen, Wendepunkten, Umkehr, nach Menschsein, danach, wie das Individuum in der Zukunft sich Freiheit und die Fähigkeit zu lieben bewahrt. Widerstand ist nötig gegen die Verführungen der Ideologien, Mythen und gesellschaftlichen Strukturen. Die Schau beginnt mit den Schwarz-Weiß-Fotografien Josef Galus Rittenbergs, in denen sich die Künstler nach Ende des Zweiten Weltkrieges wie Heiner Müller, Joseph Beuys oder Andy Warhol inszenieren. Als Prolog kann Thomas Zipps Installation mit blauem Stuhl und dem Ölgemälde mit Meerblick verstanden werden: Es geht um Kunstbetrachtung, nicht um eine bequeme, gar dekorative. Denn für Tom Biber sind Kunst und Kunstbetrachtung Arbeit.

Jonathan Meeses „Das Mädchen Jesus“ (Öl auf Leinwand) zeigt einen archaischen Krieger, der das Mädchen im Schilfkörbchen bedroht – wie einst die Neugeborenen Moses und Jesus oder als zu vergewaltigende Tochter eines unterlegenen Gegners? Auf den Helden – der schwarze Ritter im Tintendruck Markus Selgs, dem das überdimensionierte silberfarbene Holzschwert Christoph Dettmeiers zur Seite gestellt ist – scheint die rote Frau Hans Jörg Mayers zu warten. Mayer hat das Ölgemälde nach Lale Andersens Lied „Ein Schiff wird kommen“ genannt. Thomas Zipps und Phillip Zaisers Gefängnis-Installation „Erlangen“ in der Bogenöffnung zum letzten Gewölbe gibt den Blick frei auf düstere Visionen: auf Iskender Yedilers 13 aus schwarzem Kunststoff gesägte Schlüssellöcher, auf „The Last Thing“, die Videoinstallation Karsten Korns, die Leben nur im Cyberspace zulässt, und auf die „Rote Welle“ Thomas Helbigs. Hier geht die Apokalyptik in Apokalypse über, materialisiert sich im Tsunami und antwortet so auf „Stille“, Franziska Hufnagels Ölgemälde im ersten Gewölbe, darin ein feuerroter Farbstreifen die Silhouette eines schwarzen Stahlhelms zeichnet, Symbol für die menschengemachte Apokalypse des Zweiten Weltkriegs.

„Apokalyptik als Widerstand. Die Sammlung Tom Biber im Bayerischen Armeemuseum“, Reduit Tilly Ingolstadt. Di–Fr 9–17.30 Uhr, Sa, So 10–17.30 Uhr. Bis 19. Januar 2014. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog im Verlag Kettler, 88 Seiten, 22 Euro.