Ingolstadt
Kollektive Erinnerungsmomente

Die Städtische Galerie Ingolstadt zeigt die Foto-Ausstellung "Stillleben BRD. Inventur des Hauses von Herrn und Frau B."

16.06.2017 | Stand 02.12.2020, 17:56 Uhr

Wie aus der Zeit gefallen: Der Fotograf Christian Werner lädt auf eine Zeitreise in die alte BRD ein. Studienobjekt war ihm das Haus des Großvaters eines ehemaligen Schulfreunds. Zu entdecken gibt es für die Nachkriegszeit typische Gegenstände.   - Fotos: Werner/Hauser

Ingolstadt (DK) Die Situation kennen viele. Da stirbt ein vertrauter Mensch, die Großeltern oder die Eltern, und es geht daran, den Haushalt aufzulösen, möglicherweise das Haus der eigenen Kindheit zu verkaufen, zuvor Abschied auch von den kleinen und großen Dingen aus der Wohnung der Verstorbenen zu nehmen.

Gegenstände, vertraute Perspektiven und Ansichten, Gerüche haben sich ins Gedächtnis eingebrannt, lösen ein Kopfkino aus, Erinnerungsmomente. Auch von dieser persönlichen, melancholisch-traurigen Situation und Gefühlslage erzählt die Ausstellung "Stillleben BRD", die derzeit in der Städtischen Galerie in Ingolstadt zu sehen ist.

Dem Berliner Fotografen Christian Werner, der auf den Wunsch eines Jugendfreundes - dem Enkel des verstorbenen Bewohners - das Haus mit all der Einrichtung und all den Gegenständen fotografiert hat, geht es jedoch um weit mehr als um eine individuelle Zeitreise. Er verzichtet ganz bewusst darauf, einen konkreten Bezug zu den ehemaligen Bewohnern herzustellen. Nur auf einem Foto ist ein Teil des Hochzeitsbildes von Herrn und Frau B. zu erkennen. Ansonsten Gegenstände - in hartem Licht, nicht arrangiert - die sich ins kollektive Gedächtnis eingegraben haben und die von einer längst vergangenen Zeit erzählen: der alten BRD. Teppichfransenkamm, Partykeller, Ping-Pong-Platte, Dürers "Betende Hände", das gelb gekachelte Badezimmer, die Vorratskammer, Stickbilder. All das Zeugen der Wohnkultur und der Lebensart im Nachkriegs-Deutschland. Werner gelingt eine Bestandsaufnahme, eine behutsame wie umfassende Dokumentation.

Die Ausstellung ist im vergangenen Jahr im Kunstpalais in Erlangen gezeigt worden. Leiterin dort ist die ehemalige Kuratorin des Museums für Konkrete Kunst (MKK), Amely Deiss. Auf Anregung von Simon Templer, Technischer Leiter des MKK, ist die Schau nun in Ingolstadt zu sehen. Für Kulturreferent Gabriel Engert Anlass, dieser Kooperation möglicherweise weitere folgen zu lassen, wie er auf der Vernissage sagte.

Die Schau ist in ihrer Vielfalt und ihrer Vielschichtigkeit sehenswert. Lesenswert ist der Katalog, ein Bilderbuch der vergessenen Dinge. Journalisten, Wissenschaftler und Museumsleute haben über ein Lieblingsobjekt geschrieben: über die Fernbedienung, die Zettelrolle, das Sonntagsgeschirr, den Globus oder einfach: die Gardine.

Bis 16. Juli, Do bis So von 12 bis 18 Uhr. Der Katalog, im Kerber Verlag erschienen, ist in der Ausstellung für 35 Euro erhältlich.