Ingolstadt
Klagegesang über die Opfer des Krieges

Spannendes Denktheater: Bravorufe für Hansgünther Heymes Inszenierung von Aischylos' Stück "Die Perser" in Ingolstadt

01.05.2016 | Stand 02.12.2020, 19:53 Uhr

Der Chor spielt den Alptraum von Königinmutter Atossa nach: Christiane Dollmann, Miriam Haltmeier, Katrin Wunderlich, Irmela Jane Purvis, Margarete Gilgenreiner, Josepha Sophia Sem und Ingrid Cannonier (von links). Am Samstagabend war Premiere im Großen Haus. - Foto: Klenk

Ingolstadt (DK) Wir befinden uns auf einem Friedhof. Goldene Gedenkplatten mit arabischen Ziffern an Boden und Wänden. Ein schmaler, verspiegelter Zugang zum Königspalast. Über den Gräbern hängen Mäntel an groben Stricken von der Decke. Wie Tote baumeln die olivgrünen, goldgefütterten Hüllen über den Frauen, die sich hier zusammengefunden haben. Wie düstere Erinnerungen an ihre Männer, Geliebten, Brüder, Söhne, die in den Krieg gezogen sind. Wie ein Menetekel. Ein fulminantes Bühnenbild hat Hansgünther Heyme für seine Inszenierung von Aischylos' "Persern" im Großen Haus des Stadttheaters Ingolstadt gewählt. Mehr eine Installation als eine Kulisse. Und mit einem Schlagzeuggewitter, mit einem Schlachtengrollen, das die Armee dieser Toten begleitet, lässt er das Stück beginnen.

Was sagt es über unsere Kultur aus, dass das erste (erhaltene) Theaterstück ein Antikriegsstück ist? Aischylos' Tragödie erzählt aus Sicht der Besiegten von der Schlacht bei Salamis, bei der die übermächtigen Perser 480 v. Chr. gegen die Griechen verloren. Aischylos kämpfte selbst in dieser Schlacht. Aber als er acht Jahre später daraus ein Stück machte, versetzte er sich in die Rolle der geschlagenen Gegner Athens - die Perser waren damals das mächtigste asiatische Reich - und beklagte das Leid und die Traumata, die der Krieg ausgelöst hatte. Als Mahnung an seine Zeitgenossen.

"Die Perser" ist ein Stück, das nicht oft gespielt wird. Denn es ist kein einfaches Stück. Diese Dramatik liegt uns fern: Es hat kaum Handlung, sondern ist eher eine Reflexion über den Krieg. Es hat auch kaum Dialoge, sondern jeweils einen Protagonisten, der berichtet, und den Chor, der im Namen der Bürgerschaft das Gehörte kommentiert, deutet, spiegelt. In Ingolstadt wird die unprätentiöse und vor allem gut sprechbare Übersetzung von Dietrich Ebener gespielt.

Wenn das Stück beginnt, wird der Zuschauer Zeuge, wie der Chor von Xerxes' Plan erzählt, die Niederlage seines Vaters Dareios bei Marathon zu sühnen und die Griechen in einem weiteren Krieg zu unterwerfen. Zwar spricht er von der Größe der persischen Macht, doch klingt ahnungsvolle Sorge an. Dann tritt die Königinmutter Atossa auf und erzählt von ihrem verstörenden Traum und der Angst um ihren Sohn Xerxes. Doch kaum hat der Chor sie beruhigt, trifft ein Bote ein - und berichtet von den Gräueln der Schlacht, vom Hinterhalt der Griechen und dem Untergang der persischen Streitmacht. Atossa beschwört den Geist des toten Dareios. Dieser erscheint tatsächlich und beklagt den Hochmut des gemeinsamen Sohnes, der sich gegen die Gottheit vergangen hat. Schließlich taucht Xerxes selbst auf, voller Selbsthass. Im Wehklagen zwischen ihm und dem Chor klingt das Stück aus. Soweit die Handlung.

Es ist eine kluge Entscheidung, in Zeiten wie diesen, in denen Terror und Radikalisierung, Gotteskrieger und Machtgier, Flucht und Vertreibung Tag für Tag mit den 8-Uhr-Nachrichten in jedes Wohnzimmer schwappen, einen Diskurs über Krieg und Mitleidensfähigkeit auf den Spielplan zu setzen. Knapp 2500 Jahre ist Aischylos' Stück schon alt. Aber weil Hansgünther Heyme nicht den Fehler macht, es mit vordergründig-brisanter Aktualität oder Psychologisierungen aufzuladen und einen Video-Krieg zu entfachen, sondern dem Text vertraut, der Sprache, der Macht des Theaters, wird es ein starker Abend, der beides schafft: Klassikerpflege in interessanter Ästhetik und emotionales Denktheater.

Der Chor steht im Zentrum des Stückes. Regisseur Heyme bildet ihn aus sechs Frauen. Frauen, die ihre Männer, Väter, Söhne beklagen, um sie bangen, sie betrauern. Frauen, die der Königin Paroli bieten, sie umschmeicheln, sie verachten. Das hat eine große Kraft. Matthias Flake hat den Chor einstudiert und sich eine sehr lebendige Choreografie ausgedacht. Sie sind eine Macht, wie sie da stehen mit ihren ondulierten Haaren, den maskenhaft geschminkten Gesichten, den prachtvollen Garderoben. Wie sie zetern und wüten. Mit einer Stimme. Oder mit vielen. Sich verzehren. Sich verlieren. Fotos an Gräber heften. Barfuß einen tödlichen Reigen tanzen. Alpträume wahr werden lassen. Durch Allwissenheit glänzen. Christiane Dollmann, Margarete Gilgenreiner, Miriam Haltmeier, Irmela Jane Purvis, Josepha Sophia Sem und Katrin Wunderlich agieren beeindruckend. Und werden am Ende mit Bravos gefeiert.

Aischylos' großes Sprechtheater fordert große Sprecher. Und da hat Regisseur Heyme mit Ingrid Cannonier als Atossa eine perfekte Besetzung gefunden. Herrlich ist das, wie sie im roten Ballkleid in die anfänglichen Überlegungen des Chores stolpert. Arrogant und erhaben, aber zugleich unsicher und erbärmlich. Und wie leicht ihr dieser hohe Ton von den Lippen geht. Brillant auch Matthias Zajgiers Kronzeugenbericht vom Debakel der persischen Armee. Verstörend, wie er in goldgeflecktem Tarnanzug samt Plastik-Staubmantel die Bühne erklimmt - und wie erbarmungslos seine Abrechnung. Oder Bèla Milan Uhrlau als tragischer Held, den die Hybris ins Verderben führte. Ein Zorniger, ein Verzweifelter, ein Gefallener, aber jung genug, sein Volk mit neuer Weisheit zu führen. Oder Ulrich Kielhorn als toter Dareios: Vertreter einer anderen Zeit und Politik.

Sie alle zeigen facettenreiches Sprech-Theater in hoher Präzision und durchaus mit Spielwitz - und Paul-Jakob Dinkelacker liefert dazu den perfekten Sound. Ein vielschichtiges Echo der Schlachtfelder. Schlagwerk-Einschüsse. Schwerterklirren. Todesklagen. Schmerzgesang. Zermürbend. Enervierend. Gegenwärtig.

Gut 90 Minuten dauert die Inszenierung. Es ist kein leichter Stoff. Er erfordert Konzentration. Aber Heymes Inszenierung bringt den Text zum Klingen - und uns zum Denken.

Weitere Termine: 2., 13., 14., 21. und 22. Mai. Jeweils eine halbe Stunde vor Beginn gibt es eine Einführung im Foyer. Am 21. Mai ist ein Publikumsgespräch im Anschluss an die Vorstellung geplant. Kartentelefon (08 41) 305 47 22.